Leif Vollebekk – „North Americana“

Künstler Leif Vollebekk

Leif Vollebekk singt gerne wie im Halbschlaf - und sieht manchmal auch so aus.
Leif Vollebekk singt gerne wie im Halbschlaf – und sieht manchmal auch so aus.
Album North Americana
Label Outside Music
Erscheinungsjahr 2014
Bewertung

„Wörter sind die Kinder der Vernunft und können daher Musik nicht erklären. Sie können wirklich das Gefühl nicht übersetzen, weil sie nicht daran teilhaben“, hat der Modern-Jazz-Pianist Bill Evans einmal gesagt. Er hat Recht: Oft ist es enorm schwierig, Musik angemessen in Worte zu fassen.

Manchmal ist es aber auch ganz einfach. So wie bei Leif Vollebekk. Der muss nur den Mund aufmachen, und schon hat man zwei Wörter im Kopf, die sein Schaffen perfekt beschreiben: Ryan Adams. Die Ähnlichkeit der Stimme ist frappant. Vollebekk könnte das vielleicht noch kaschieren, wenn er HipHop machen würde oder Speed-Metal. Aber auch der Sound ist genau wie bei Ryan Adams: eine akustische Gitarre, ein Kontrabass, ein hingetupftes Schlagzeug, eine Slide-Gitarre, und dann auch noch erste Worte wie diese: „Southern United States / I had a dream I was standing beneath a Memphis moon / with William Blake painting and Crosby crooning.“ Als dann nach drei Minuten sogar eine Mundharmonika ertönt und das Klangbild komplettiert, denkt man tatsächlich: endlich!

Die Koordinaten für North Americana, das zweite Album des 27-Jährigen aus Montreal, sind also schnell abgesteckt. Es gibt Lieder wie When The Subway Comes Above The Ground, wie gemacht für den anspruchsvollen Rolling Stone-Abonnenten. Es gibt intensive Momente, in denen Leif Vollebekk fast nur auf Gesang und Gitarre setzt wie Off The Main Drag oder From The Fourth. Manchmal ist er am Klavier zu hören wie in der Ballade Photograph Friend oder dem Pallbearer Blues. Und in jedem Moment wird Tradition auf North Americana ganz groß geschrieben. Doch sobald man denkt, diese Lieder seien vielleicht eine Spur zu prototypisch, kommt eine originelle Idee oder ein Ausmaß an Aufrichtigkeit, das diese Bedenken sofort zerstreut.

Dass die Platte so selbstverständlich klingt, ist beinahe ein Wunder, denn Leif Vollebekk hatte mit den Aufnahmen ziemlich zu kämpfen. “I wrote the songs, I found the best band in the world, and then all I had to do was find the right studio, for the right take. And it took forever”, beschreibt er das Problem. So war er unter anderem in Studios in Manhattan, Woodstock und Paris zugange, bis er mit seinen Begleitmusikern Hans Berhard (Bass), Philippe Melanson (Schlagzeug), Joe Grass (Pedal Steel), Sarah Neufeld (Violine, sonst bei Arcade Fire tätig) und Adam Kinner (Tenorsaxophon) doch wieder in Montreal landete.

Das musikalisch spannendste Stück ist Takk Somuleidis: Es beginnt mit einem unbestimmten Flirren, zieht sich dann aber am eigenen Schopf hin zu einer klaren Songstruktur, und am Ende sogar ein wenig in Richtung der Counting Crows. Ansonsten dominiert hier der Sound von der Weite des Landes, der Unendlichkeit der Straße und der mit jeder Meile wachsenden Sehnsucht, irgendwann an einer verlorenen Heimat oder wenigstens einer wohlmeinenden Schulter anzukommen.

„I feel like I created a record from 1970something that no one’s heard before. I’m haggard and this record is all I got”, sagt Vollebekk über das Ergebnis. Diese Alles-oder-nichts-Mentalität steckt auch in seinen Liedern. At The End Of The Line etwa zeigt, dass er genau weiß, dass es oft die Kleinigkeiten und Zufälligkeiten einer Begegnung sind, die einem erst den Verstand, dann die Sinne und schließlich das Herz rauben. Vollebekk klingt in diesem Lied wie der einsamste Mensch der Welt, und wie der größte Romantiker.

A Wildfire Took Down Rosenberg ist einer von etlichen Songs, die er wie im Halbschlaf singt, und durch diese Methode entsteht der Eindruck: Er kann nichts mehr richtig wahrnehmen, nur noch seinen Schmerz. Dass Leif Vollebekk derzeit mit William Fitzsimmons auf Tour ist, passt fast so gut wie die Assoziation mit Ryan Adams (den Vollebekk übrigens sehr schätzt). Einen kleinen Unterschied gibt es dabei aber: William Fitzsimmons weist mit seinen Liedern den Weg und spendet Trost. Leif Vollebekk ist selbst ein Verlorener, der getröstet werden muss.

Nur im geologischen Sinne unterirdisch: Das Video zu When The Subway Comes Above The Ground.

httpv://www.youtube.com/watch?v=GQMMvBgJjqE

Homepage von Leif Vollebekk.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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