Künstler | Lily Allen | |
Album | Sheezus | |
Label | Parlophone | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Als Sheezus im vorigen Jahr erschien und nach einer fünfjährigen Musik-Pause von Lily Allen prompt Platz 1 der Charts in England erreichte, waren längst nicht alle zufrieden. 5 von 10 Punkten vergab Spin für das Album, sogar nur 3 von 10 wollte der NME für Sheezus zugestehen. Auch ein paar Fans waren unzufrieden. Von „Pop rubbish“ war da in einem Tweet zu lesen – und Lily Allen stimmte prompt zu. Sie habe bessere Songs, aber die Plattenfirma weigere sich, diese herauszubringen, antwortete sie und distanzierte sich damit von ihrem Comeback-Album, kaum dass es auf dem Markt war.
Man kann das nur seltsam finden. Da gönnte sich jemand eine lange Auszeit, bastelt dann lange an der Platte (mehr als anderthalb Jahre vor dem Erscheinungsdatum von Sheezus teilte Lily Allen mit, dass sie wieder im Studio ist) – und ist dann selbst nicht zufrieden mit dem Ergebnis? Das muss man verwirrend finden, sogar schizophren – und steckt damit mittendrin im Charakter von Sheezus. Lily Allen singt hier zugleich über ihr Leben als zweifache Mutter und ihren Spaß als Glamourgirl. Sie will provozieren, aber massenkompatibel bleiben, sie will musikalisch mutig sein und dennoch Hits haben. Und sie scheitert oft mit dem Versuch, all das unter einen Hut zu bekommen.
Der Titeltrack am Beginn des Albums ist typisch dafür: Sheezus thematisiert Lily Allens Party-Lifestyle als zweifache Mutter, zudem disst sie praktisch die gesamte weibliche Popwelt. Während der Text böse und provokant wie gewohnt ist, bleibt die Musik ohne Biss. Der Sound ist eher müde, fast wagt man sich zu sagen: erwachsen – und diese Mentalität passt kein bisschen zur Tirade, die Lily Allen hier loslässt.
Diese Unausgegorenheit zieht sich wie ein roter Faden durch das Album. L8 Cmmr beschreitet den Weg vom vulgären Schwanzvergleich, den der Titel schon andeutet, zum allerromantischsten Treueschwur inklusive stolzem Verweis auf den Ehering am Finger innerhalb einer Strophe. Der Sound ist heiter, aber auch hier erstaunlich harmlos und beliebig. Take My Place handelt vom Wunsch, alles hinzuwerfen und hinter sich zu lassen. Was klingt, wie der Hilfeschrei einer wirklich Verzweifelten, wird leider mit den denkbar inflationärsten Powerballaden-Klischees unterlegt. As Long As I Got You integriert ein bisschen Primal Scream im Countryrock-Modus inklusive Slidegitarre und Akkordeon. Dazu hat das Lied einen Refrain, der noch mehr Bubblegum ist als Alfie auf ihrem ersten Album. „You saved me from myself“, heißt darin das Dankeschön an den Liebsten, aber das klingt mit diesem Sound ebenso unpassend wie ein Lobpreis der banalen Bodenständigkeit aus dem Mund von Lily Allen, der die Strophen durchzieht.
Es drängt sich der Verdacht auf: Vielleicht mag Lily Allen diese Platte auch deshalb nicht mehr leiden, weil sie zu sehr wie sie selbst ist: Es gibt den unbedingten Willen zum Spaßhaben und zur Leichtigkeit, mit einem schönen, sogar glamourösen Look, aber mit einigen Schwächen und Aussetzern darunter – und mit dem unfreiwilligen Bekenntnis, keine Orientierung zu haben. Insincerely Yours zerfetzt im G-Funk-Sound die oberflächliche Kameraderie, die unter Promis zu herrschen scheint, und wird zur Kampfangsage mit mächtig gefährlichen Ellenbogen, allerdings auch mit einer dämlich materialistischen Ideologie. Silver Spoon ist eine arg selbstverliebte Reflexion über die Selbstbehauptung, die auch dann nötig ist, wenn man mit besagtem Löffel im Mund aufgewachsen ist. Life For Me ist ein Reggae, in dem sich die 30-Jährige einigermaßen erfolgreich einredet, das Dasein als Hausfrau sei reizvoller für sie als ein Leben im Rampenlicht.
Sheezus ist nicht nur textlich, sondern auch musikalisch arg launisch. Dennoch muss man feststellen: Oft ist es weiterhin ein Vergnügen, dieser großen Klappe zuzuhören, die von einer enormen Verletzlichkeit ablenken soll. Um das zu erkennen, braucht man nicht die Klatschzeitschriften lesen mit den Schlagzeilen über Lily Allen, sondern bloß diese Lieder hören. Es gibt hier, auch das soll nicht unerwähnt bleiben, sehr viel gute Popmusik, auch wenn sie manchmal nur für einzelne Bestandteile eines Songs reicht und nur selten für ein rundum gelungenes Ganzes. Our Time preist die Geborgenheit, die ein Abend mit den besten Freunden bescheren kann. Die Erkenntnis, das Zusammengehörigkeit und die Gewissheit, die gleichen Werte (und Platten) zu teilen, tatsächlich für unerschütterliche Zuversicht und ausgelassene Siegesgewissheit sorgen kann, wenigstens für ein paar Stunden, teilt man gerne. Close Your Eyes wird tatsächlich verführerisch, wenn Lily Allen beteuert, im Schlafzimmer zu Diensten zu sein und jeden Wunsch zu erfüllen, aber mit dem genau richtigen Rest des Selbstbewusstseins einer Lady.
Die Songs, die annähernd makellos sind, lassen sich an einer Hand abzählen, zeigen aber, was für eine großartige und spannende Popkünstlerin Lily Allen nach wie vor sein kann, und haben auch einige Überraschungen zu bieten. URL Badman gehört dazu, wo sie die Feigheit von Internet-Trollen aufs Korn nimmt. Hier passen Thema und Form sehr gut zusammen, mit dem vergleichsweise aggressiven Elektrosound des Refrains, der all die Wichte hinwegfegen möchte, die online und anonym die unversöhnlichsten Meinungen und wüstesten Beschimpfungen verbreiten, im echten Leben aber nicht einen Hauch von Mut haben. Die Coverversion von Somewhere Only We Know (zehn Jahre zuvor ein Hit für Keane) gleicht sogar einem Geniestreich. Die Neuinterpretation gibt dem etwas pompösen Original einen zerbrechlichen, würdevollen, zauberhaft melancholischen Charakter, der auch dann noch ergreifend ehrlich bleibt, als im Hintergrund längst die Geigen jauchzen und die Becken krachen.
Auch die beiden Singles gehören zu den Höhepunkten. Hard Out Here zeigt Lily Allen in gewohnt aggressiver Manier. „Don’t need to shake my ass for you / ‚cause I’ve got a brain“, singt sie unter anderem über den Kampf, den Frauen noch immer auszufechten zu haben, vor allem, wenn sie in der Öffentlichkeit stehen, Spaß haben und trotzdem ernst genommen werden wollen. Der Song wird äußert wirkungsvoll, aber etwas zu lang, wovon auch die arg plumpen Spielereien mit Soundeffekten nicht ablenken können. Air Balloon setzt auf das Kinderspielzeug-Klavier, das schon auf Smile so gute Dienste geleistet hatte, und glänzt mit einem sehr schönen Refrain. Auch hier gibt es allerdings ein „Aber“: Als Lily-Allen-Song ist Air Balloon kaum zu erkennen, genauso gut könnte der Track auch von Nicola Roberts oder Charli XCX oder sonstwem kommen.
Ein bisschen erinnert Sheezus an eine Platte von Robbie Williams: Fast alle Lieder sind makellose Hits. Darunter ist ein Interpret zu erkennen, der auf Sinnsuche ist, mit großer Offenheit, einem reflektierten Umgang mit dem eigenen Status als Popstar und ohne Angst vor der einen oder anderen Boshaftigkeit. Aber so etwas wie Charakter oder gar Unverwechselbarkeit will sich bei Lily Allen diesmal – anders als Robbie das hinbekommt, und anders als auf den ersten beiden Alben der Sängerin – nicht einstellen.