Künstler | Lot | |
Album | Der Plan ist übers Meer | |
Label | Chimperator | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Man muss sich das einmal vorstellen. Da kommen die Leute, mit denen man intensiv zusammengearbeitet hat, über eine lange Zeit eng verbunden war und für die gemeinsame Zukunft eine künstlerische Vision entwickelt hat, plötzlich an und teilen dir mit: Wir halten dich nicht mehr aus! So etwas ist Lothar Robert Hansen alias Lot passiert. „Einmal haben sich alle Mitglieder meiner damaligen Band vor mir aufgebaut und verkündet: Wir wollen keine Musik mehr mit dir machen“, erzählt der gebürtige Berliner, den es via Mühlhausen und Westfalen mittlerweile nach Leipzig verschlagen hat.
Wenn so etwas passiert, kann man wohl vermuten, man habe es mit einem Despoten oder einem ausgewachsenen Arschloch zu tun. Oder zumindest mit jemandem, dem ein passables Sozialverhalten reichlich schwer fällt. Zu dieser Vermutung passt auch die Reaktion von Lot auf die besagte Konfrontation: „Ich dachte nur: Cool, dann kann ich ja jetzt alleine weitermachen oder eine andere Band gründen.“
Der Charakterzug des wehleidigen Egomanen prägt Der Plan ist übers Meer, das gestern erschienene zweite Album von Lot. Zwischen Rap und Pop (Der Plan ist übers Meer erscheint bei der Plattenfirma, die auch Cro beheimatet; als Opener war Lot ebenso schon für Bosse wie für Flo Mega im Einsatz) und mit erstaunlicher musikalischer Bandbreite (Lot bekam als Kind schon Klavierunterricht, seine Einflüsse beinhalten neben Black-Music- und Pop-Größen auch Jan Plewka und Thees Uhlmann, in einem Song verweist er auf ein einstiges Lieblingslied von Tanita Tikaram) besingt er mit markanter Stimme die Suche nach Identität.
Leider findet er sie nicht, und auch seine Suche klingt meist reichlich einfältig. Leipzig ist gutes Beispiel dafür, warum viele Lieder auf Der Plan ist übers Meer so mittelprächtig sind: Das Lied soll organisch und lässig wirken, die Spontaneität einer Nacht einfangen, aber da ist unverkennbar auch Kalkül und Schlager-Gefahr zu hören. In jedem Fall ist Leipzig (die Stadt) glücklicherweise spannender, schöner und glamouröser als dieser Song.
Hamse mal ist ähnlich krude, sowohl in seinem musikalischen Bombast als auch im Thema: Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln sind manchmal nicht sonderlich freundlich. Es ist vorbei hingegen hat ein deutlich populäreres Sujet: Liebeskummer. Dass Lot in diesem Track die Tage zählt seit dem Aus seiner Beziehung (es sind 23), zeigt wie frisch und schmerzhaft die Wunde noch ist, die Musik lässt allerdings bereits so etwas wie Akzeptanz und Aufbruch zu neuen Ufern erkennen. Statt aus diesem Kontrast einen eingängigen Raop-Song zu entwickeln, bleibt das Ergebnis aber plump und pseudo-hymnisch wie der Kram von Andreas Bourani oder Max Giesinger.
Zwei Zimmer, Küche, Bad könnte ein Zwilling von Coldplays Viva La Vida sein, allerdings ist die Banalität des Textes (Die Couch war zu teuer!) ein ziemlich peinlicher Kontrast zu solch einem pompösen Sound. Wie sehr Lot ein Song wie Der Plan ist übers Meer am Herzen liegt, zeigt nicht nur die Tatsache, dass er ihn zum Titelstück des Albums machte, sondern auch das aufwendige Arrangement. Trotzdem bleibt alles ziemlich unbesonders – auch im Vergleich zu den anderen Tracks des Albums.
„Es ist alles gut“, schreit er gegen Ende von Alles gut im Hintergrund. Das zeigt nicht nur, wie beharrlich er sich diese Aussage einreden oder wenigstens in Erinnerung rufen muss. Es ist auch ein Moment der Leidenschaft, der zeigt, wie wenig es von diesem Gefühl sonst auf diesem Album gibt. Auch Darth Vader, das beste Lied der Platte, zeigt, wie Lot eigentlich funktionieren könnte, wenn er ausnahmsweise nicht herumeiert: „Wenn das die Guten sind, dann möchte ich Darth Vader sein / Wenn das das Leben ist, dann möchte ich ein Zombie sein / Wenn ich irgendwann so werde, bitte hau mir eine rein“, singt Lot, begleitet unter anderem von einer Sixties-Orgel. Auch hier weiß er nicht, wer er sein will. Aber umgeben von einer nervigen Familienfeier erkennt er zumindest schon, was er nicht sein will.
Ein Kernproblem ist, wie infantil viele der Lieder bleiben, obwohl Lot (Jahrgang 1984) der Adoleszenz längst entwachsen sein sollte. Kein Herz (mit Prinz Pi) hat zwar eine schöne Atmosphäre, klingt aber ein wenig, als sei er noch immer nicht darüber hinweg, dass die anderen Kinder nicht mit ihm spielen wollten. Passend dazu beklagt er in Nische, dem ebenfalls sehr einschmeichelnden Albumschlusspunkt mit Alin Coen: „Wie ich’s auch wende und wie ich’s auch dreh / es scheint, dass man mich nicht braucht.“
Es ist diese Erkenntnis, die Lot einfach nicht akzeptieren zu können scheint: Andere Menschen sind anders als er, und sie haben auch nicht unbedingt Lust, ihn als Mittelpunkt der Welt anzuerkennen. Das belegen auch ein paar weitere Aussagen, die er aus Anlass des neuen Albums, Nachfolger des vor zwei Jahren erschienenen 200 Tage, macht. „Ich kann gar nicht verstehen, wie manche Leute innerhalb von sechs Wochen eine komplette Platte machen können“, sagt er beispielsweise (für sein Debüt hat er sich besagte 200 Tage gegönnt). „Es wundert mich, dass manche Leute überhaupt in einer fremden Sprache schreiben können und wollen. Für mich gab es zum Deutschen nie eine Alternative“, begründet er die Wahl der Muttersprache für seine Texte. „Ich habe zwar eine Menge Musik für andere Leute gemacht, weil ich die Kohle brauchte, aber ich wollte nie in Coverbands spielen. Mir ist es wichtig, meine eigenen Sachen zu schreiben und zu spielen“, erzählt er aus seiner Biographie. All das zeigt: Von Empathie versteht Lot nicht so viel.
Natürlich muss man kein Sympath sein, um ein guter Popstar zu sein – im Gegenteil: Ein wenig Größenwahn, Fremdeln mit der Welt und die eine oder andere Marotte sind in diesem Beruf sehr hilfreich. Lot feiert und glorifiziert diese Eigenschaften aber nicht, sondern schämt sich dafür, will sie überwinden oder wenigstens verstecken. Das macht Der Plan ist übers Meer so schwer verdaulich, selbstverliebt und eindimensional.