Künstler | M. Ward | |
Album | More Rain | |
Label | Bella Union | |
Erscheinungsjahr | 2016 | |
Bewertung |
Wenn einem nichts mehr einfällt, dann redet man übers Wetter. Übertragen auf M. Ward würde das bedeuten: Er ist mit More Rain, das tatsächlich so etwas wie ein Konzeptalbum über den Regen ist, auf dem kreativen Tiefpunkt angekommen.
Natürlich kann davon keine Rede sein. Das schwächere Gegenargument ist die Tatsache, dass Ward seit rund 15 Jahren in Portland, Oregon lebt, wo ziemlich genau ein Drittel des Jahres aus Regentagen besteht und die durchschnittliche jährliche Niederschlagsmenge von fast 1000 Litern pro Quadratmeter durchaus dazu führen kann, dass man das eine oder andere Lied über schlechtes Wetter schreibt. Der noch stärkere Gegenbeweis ist seine seit Jahren unbändige Schaffenskraft. More Rain ist sein achtes Soloalbum, dazu kommen mittlerweile fünf Platten mit Zooey Deschanel als She & Him und etliche Jobs als Produzent. Auch bei den Mosters Of Folk wirkte er 2009 mit, gemeinsam mit Jim James (My Morning Jacket), Conor Oberst (Bright Eyes) und Mike Mogis.
Dass hier kein Verdacht von Materialermüdung aufkommt, liegt auch an den neuen Songs, die im Vergleich zum Output beispielsweise auf dem Vorgänger A Wasteland Companion (2012) hörbar kraftvoller und, trotz des Themas, positiver sind. Time Won’t Wait beispielsweise verströmt fast einen Hauch von Glam Rock, auch Temptation hat erstaunlich viel Biss im Rhythmus und Gitarrensound, auch wenn der Gesang von M. Ward so süß wie eh und je ist. Girl From Conejo Valley lässt vor den Augen ein Roadmovie ablaufen, in dem es Wüsten gibt, All American Girls mit bauchfreien Blusen und Cabrios, die schon längst keinen Tüv mehr bekommen sollten – so wie dieses Lied klingt, müssen die leicht bekifften Tagträume von Tom Petty aussehen. Auch Confession passt in diese Kategorie: alte Schule, große Klasse. You’re So Good To Me ist ebenfalls ein Lied, das in jedem Zeitalter seit Erfindung des Rock’N’Roll seine Liebhaber gefunden hätte: Es wirkt prototypisch, gönnt sich aber seine Extravaganzen.
Der Albumtitel ist dabei nicht annähernd so banal, wie man das befürchten könnte. M. Ward will vielmehr der Schnittmenge zwischen der Routine des Alltags und dem Angesicht der Apokalypse nachspüren. “I think one of the biggest mysteries of America right now is this: How are we able to process unending bad news on Page One and then go about our lives the way the style section portrays us?”, fragt er sich. “There must be a place in our brains that allows us to take a bird’s-eye view of humanity, and I think music is good at helping people – myself included – go to that place.”
Daraus kann ein hauchzartes Lied erwachsen wie Pirate Dial, das dich mit seiner Zeile „I can hear you“ und mit jedem einzelnen Ton in den Arm nimmt. I’m Listening ist ähnlich entspannt und mellow, diesmal stecken der Zuspruch und das Versprechen von Aufmerksamkeit allerdings in den Worten „I’m listening to you“. Phenomenon erreicht einen ähnlichen Kuscheldecken-Effekt, allerdings mittels Country-Flair. Das verträumte Slow Driving Man entwickelt eine im höchsten Maße einnehmende Atmosphäre, Little Baby könnte fast ein Schlaflied sein, und das ist als Kompliment gemeint.
Dass M. Ward von seiner ursprünglichen Idee, ein Doo-Wop-Album komplett in Eigenregie zu machen und dabei mehrere Spuren seiner eigenen Stimme übereinander zu legen, wieder abgekommen ist, war in jedem Fall eine glückliche Fügung. So konnte er nicht nur Gäste wie Peter Buck (REM), Neko Case, K. D. Lang, The Secret Sisters und Joey Spampinato (NRBQ) begrüßen, sondern auch Songs wie I’m Going Higher machen, das so etwas wie die Quintessenz von More Rain ist: Es gibt einen kraftvollen Beat zu einer weitgehend akustischen Begleitung und das Ergebnis erinnert daran, dass Marc Bolan zu Beginn seiner Karriere noch ein Folkie mit Schrammelgitarre war. M. Ward scheint ihm hier genau in dem Moment zu begegnen, als er auf die Idee kommt, seine Songs auch tanzbar und glamourös zu machen.