Künstler | Marcel Brell | |
Album | Sprechendes Tier | |
Label | Conradstraße | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Das ist doch mal eine Messlatte. Als „Rilke 2.0“ (Kieler Nachrichten) wurde Marcel Brell nach seinem 2014er Debütalbum Alles gut, solang man tut gelobt. Im Jahr darauf wurde er mit dem Fred-Jay-Preis ausgezeichnet, den zuvor beispielsweise Clueso und Rio Reiser erhalten hatten, er war für den Deutschen Musikautorenpreis in der Kategorie Nachwuchs nominiert und wurde vom Goethe-Institut als „Botschafter der deutschen Sprache“ in die Welt geschickt.
Das ist aus mindestens zwei Gründen erstaunlich: Erstens war Brell, der am Niederrhein aufwuchs und seit mehr als zehn Jahren in Berlin lebt, zu Beginn seiner Karriere vor allem als Mann hinter den Kulissen, nämlich als Dienstleister für andere tätig. Als Produzent, Songwriter oder Arrangeur arbeitete er beispielsweise an Werken von Herbert Grönemeyer, Caught In The Act oder dem Rock-Album von Heino mit. Erst dann wagte er den Schritt vors Mikrofon.
Zweitens zeichnet ihn – trotz der oben genannten Lorbeeren, die so sehr nach Feuilleton klingen – eine Eigenschaft aus, die leider immer noch selten ist bei deutschen Singer-Songwritern: Er ist unverkrampft und schafft es, auch im Anekdotischen seine Themen zu finden, die trotzdem etwas über ihn (Selbstfindung) und uns (Weltverständnis) erzählen. Auch sein heute erscheinendes zweites Album Sprechendes Tier beweist das. Manchmal wirkt es wie eine Aufzählung all der Fettnäpfchen, in die Marcel Brell schon getreten ist – aber er nimmt es leicht.
Das führt zu gelungenen Wortspielen, die etwa in Fleck (auch in Kombination mit einem sehr schmissigen Beat) an Wir sind Helden denken lassen. Leise oder die zärtliche Klavierballade Steine dürften allen Fans von Philipp Poisel bestens gefallen. Das wunderbare Kaputt blickt auf eine Beziehungskiste, die nicht mehr zu kitten ist, so lakonisch und augenzwinkernd, wie das sonst vielleicht nur Olli Schulz hinbekommt. Ganz am Ende von Sprechendes Tier fühlt man sich an Clueso erinnert: Marcel Brell betont da in Frei zu sein, wie unbedingt er unkonventionell leben möchte, und er ist hörbar froh darüber, dass ihm das Musikerdasein diese Möglichkeit eröffnet.
Diese Referenzen zeigen auch: Im Vergleich zum Debüt hat sich Marcel Brell auf diesem Album ein Stück in Richtung mehr Dynamik und Vielfalt bewegt. Vielleicht spielt da die Live-Erfahrung eine Rolle, denn er hat nicht nur viele der Lieder von Sprechendes Tier zuvor schon live getestet, sondern war zuletzt auch im Vorprogramm beispielsweise von A-ha, Suzanne Vega und der Alin Coen Band (mit der er auch das Duett Wo die Liebe hinfällt eingespielt hat) in größeren Hallen unterwegs. Dem Titelsong merkt man deutlich an: Das war mal ein Lagerfeuerlied, mit akustischer Gitarre und sonst fast nichts, bis es dann in Richtung Pop aufgepeppt wurde. Das tut dem Album insgesamt gut, manchmal gibt es allerdings auch Songs wie Sein wie du (Zusammenfassung: „Spinner und stolz darauf“), die kompositorisch ein wenig schwach sind und versuchen, das durch möglichst viel Brimborium zu kaschieren, oder Im Theater (Zusammenfassung: eine Biographie als Tollpatsch), in der es womöglich der radiofreundliche Sound ist, der auch zu etwas plumpen Metaphern führt.
Dass hier aber eindeutig Potenzial auch für ein größeres Publikum drinsteckt, ist unverkennbar. Marcel Brell schafft es, aus einer denkbar banalen Situation (die Freundin schläft auf dem Nebensitz im Kino ein) ein sehr putziges, romantisches und verträumtes Lied wie Raumschiff zu machen. Er outet sich in Keine Worte auf sehr charmante Weise als verhinderter Aufreißer. Er bekommt originelle und rührende Lieder hin wie Aber wir lieben uns nicht. Ein Pärchen hat darin erkannt: Irgendwie passen wir sehr gut zusammen, sogar im Bett, aber sonst ist da nichts – oder zumindest reden wir uns das ein. Dahinter steckt die wertvolle Erkenntnis, dass auch die Unverbindlichkeit, die doch vor Verletzungen schützen soll, schmerzen kann. In Wasser von oben macht Marcel Brell noch einmal deutlich, dass er durch und durch Optimist ist, einer, der das Leben mag, und das ist sehr wohltuend.
„Man sollte den Leuten mehr zutrauen, auch inhaltlich. Ich weiß nicht, warum Popmusik immer monströse Bässe und ‚Titten raus‘ haben muss“, hat Marcel Brell einmal im Interview mit der Welt gesagt, und sein zweites Album zeigt, dass er diesem kleinsten gemeinsamen Nenner jede Menge Witz, Charakter, Talent und Gefühl entgegensetzen kann.
Vom Versuch einer Versöhnung erzählt das Video zu Sprechendes Tier.
Auch mit der neuen Platte ist Marcel Brell ausgiebig auf Tour.
08.03. Dresden, Jazzclub Tonne
09.03. Leipzig, Täubchenthal
10.03. Erfurt, Museumskeller
11.03. Hannover, Pavillon
12.03. Rostock, M.A.U.-Club
16.03. Hamburg, Nochtspeicher
17.03. Bremen, Lila Eule
18.03. Magdeburg, Moritzhof
19.03. Berlin, Privatclub
21.03. Essen, Zeche Carl
22.03. Köln, Studio 672
23.03. Münster, Hot Jazz Club
24.03. Cochem, Kapuzinerkloster
25.03. Senheim, Weingut Görken
26.03. Molzig, Knebels Scheune
27.03. Stuttgart, Zwölfzehn
28.03. Frankfurt, Nachtleben
29.03. Heidelberg, Karlstorbahnhof / Klub K
01.04. CH-Zürich, Neo
02.04. München, Milla Club
03.04. Nürnberg, Club Stereo
04.04. A-Wien, Chelsea