Künstler | Marissa Nadler | |
Album | July | |
Label | Bella Union | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Gerade einmal 18 Grad beträgt die Durchschnittstemperatur in Seattle im Juli. Es ist nicht gerade der Ort, den man mit paradiesischen klimatischen Bedingungen in Verbindung bringt. Dort hat Marissa Nadler gemeinsam mit Produzent Randall Dunn (Earth, Sunn O))), Wolves In The Throne Room) ihr sechstes Album aufgenommen und es July genannt.
Der Titel ist durchaus passend, auch wenn hier nichts nach sommerlicher Unbeschwertheit klingt. Stattdessen besingt die Dame, die sonst im auch nicht viel wärmeren Boston zuhause ist, die Tatsache, dass man auch dann betrübt sein kann, wenn die äußeren Umstände den Rest der Menschheit zum Fröhlichsein animieren. Man kann an einem strahlenden Sonnentag heulen. Man kann der einzige sein, der beim Picknick am Strand Trübsal bläst. Man kann sich in einem Vergnügungspark erhängen. Und man kann natürlich auch verzweifelt sein, wenn die äußeren Umstände allen Anlass dazu bieten. „Maybe it’s the weather / but I got nothing in my heart“, singt die 32-Jährige im letzten Lied der Platte.
Drive ist ein Beginn wie sieben Tage Regenwetter, der kaum zarter und betrübter sein könnte. Die kurz darauf besungenen Firecrackers sind selbstverständlich die am wenigsten krachigen Feuerwerkskörper der Welt, Was It A Dream entwickelt mit Streichern (aus der Hand von Eyvand Kang), einer dezenten E-Gitarre (Phil Wandscher) und dem hier selten zu hörenden Schlagzeug ganz langsam eine sehnsüchtige Americana-Atmosphäre.
Ein Ereignis wird July vor allem deshalb, weil Marissa Nadler diese Grundstimmung sehr subtil variiert. In We Are Coming Back entwickelt das Gitarrenpicking eine Bedrohlichkeit wie bei Leonard Cohen, Anyone Else setzt auf höchst ungewöhnliche Gitarrenakkorde. Bei 1923 gerät man geradezu in einen Sog, man merkt kaum, wie das Lied beginnt, sich entfaltet und endet.
Die zweite Stärke von July ist natürlich der Gesang von Marissa Nadler. Holiday In demonstriert die Technik, die hier ganz oft (und ganz wunderbar) funktioniert: Die Stimme ist schon zu Beginn beeindruckend, dann schwingt sie sich im Refrain gen Himmel und wird vollends blendend, so schön ist sie. Auch in I’ve Got Your Name, nur vom Klavier (Steve Moore) begleitet, glänzt sie.
Das Kunststück dabei ist: Alles auf July ist düster und schmerzhaft. Desire zum Beispiel klingt geradezu physisch leidend und könnte kaum fragiler sein. Zugleich hat das Lied aber eine enorme emotionale Tiefe und beweist letztlich: Marissa Nadler packt in diese Lieder viel zu viel Würde, um dabei wie ein Opfer wirken zu können.
Das Video zu Was It A Dream könnte auch David Lynch gefallen.
httpv://www.youtube.com/watch?v=BQ0zn6jqRdc