Marissa Nadler – „Strangers“

Künstler Marissa Nadler

Marissa Nadler Strangers Kritik Rezension
Auch auf „Strangers“ hat Marissa Nadler mit Randall Dunn kooperiert.
Album Strangers
Label Bella Union
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

Diese Stimme! Man kann den Mezzo-Sopran von Marissa Nadler auch auf ihrem siebten Album für das alles überstrahlende Element halten. Die 35-Jährige verfügt über eine Stimme, „der man in den Hades folgen würde“, hat Pitchfork einmal geschrieben, Noisey hat ihren Gesang mit dem der antiken Sirenen verglichen, das Blurt Magazine fühlt sich dabei an den Sound aus einer Halluzination erinnert. Dass Strangers so geschlossen und rund klingt, liegt natürlich auch an dieser Stimme. Aber gerade beim mehrfachen Hören des erneut von Randall Dunn (Sunn O))), Earth, Black Mountain) produzierten Albums zeigt sich: Die Arrangements tragen genauso dazu bei.

Wie ausgesucht fein sie sein können, beweisen etwa Nothing Feels The Same oder der sehr schöne, vom Klavier geprägte Auftaktsong Divers Of The Dust. Immer wieder werden hier genau die richtigen Mittel und die perfekten Klangfarben und Sound-Tupfer (dieses Bild ist nicht zufällig gewählt, schließlich hat Marissa Nadler einst Malerei studiert) gefunden, um die ätherische Grundstimmung zu verstärken, ohne sie langweilig werden zu lassen. Gerade die eher reduzierten Songs auf Strangers profitieren davon, beispielsweise Skyscraper mit wundervollen Harmonies, die aus mehreren Spuren von Marissa Nadlers Gesang bestehen, oder das noch minimalistischere Shadow Show Diane.

Angesichts dieser Ästhetik könnte man versucht sein, ein Lied wie Dissolve für beinahe klassischen Folk zu halten. Es gibt sanftes Picking, diese großartige Stimme und die schlichte und rührende Erkenntnis: „You never bring me down“. Freilich zeichnet Marissa Nadler auch diesmal aus, dass ihre Songs deutlich düsterer sind als der übliche Singer-Songwriter-Standard. Auch zum Ernst dieser Songs passt ihre Stimme perfekt; gerade der Eindruck, sie könne nicht ganz von dieser Welt sein, verleiht ihr bei aller Schönheit eine erstaunliche Bedrohlichkeit. Nota bene: Diese scheinbar so elfenhafte Sängerin hat ihre Vorliebe für Metal schon wiederholt zum Ausdruck gebracht, so hat sie beispielsweise eine Coverversion von Danzig aufgenommen, war auf Tournee mit Earth und hat auf einem Album von Xasthur mitgewirkt.

Das zeigt Strangers auf subtile Weise auch in seinen Songs. In Janie In Love sorgt ein überraschend prominentes Schlagzeug für beachtliche Dramatik, ebenso, wenn auch etwas behutsamer, in Katie I Know. In Hungry Is The Ghost erklingt eine E-Gitarre, das schwebende All The Colors Of The Dark demonstriert ein Feingefühl, das erkennen lässt, wie sie tatsächlich die verschiedenen Schattierungen des Dunklen erkennen kann und wie intensiv sie dort sucht, nach Orientierung, einem Ebenbild ihres Innenlebens, vielleicht auch nach Erlösung.

Der Titelsong wird auch dank seiner Slide-Gitarre göttlich wehmütig und ist zudem prototypisch für die Themen auf Strangers. Die Texte von Marissa Nadler sind diesmal nicht mehr ganz so persönlich wie etwa auf dem gefeierten Vorgänger July oder gar einst auf der EP The Sister. Sie hat nicht nur etwas über ihre eigenen Dämonen zu erzählen, sondern auch über die Welt. Dahinter steht die Erkenntnis: Es gibt ganz viele Menschen, die Fremde sind, für sich selbst, für andere und für die Welt an sich.

Faszinierend körperlos ist auch das Video zu Janie In Love.

Website von Marissa Nadler.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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