Künstler | Marius Müller-Westernhagen | |
Album | MTV Unplugged | |
Label | Virgin | |
Erscheinungsjahr | 2016 | |
Bewertung |
Obwohl mittlerweile der sehr leichtgewichtige Cro, die sehr unterbelichteten Sportfreunde Stiller und die sehr unerträglichen Revolverheld in dieser Reihe mitgemacht haben, ist die Anfrage, ob man nicht sein eigenes MTV Unplugged gestalten will, noch immer ein Ritterschlag für einen Künstler. Erst recht gilt das für Marius Müller-Westernhagen. Schließlich war er der erste deutsche Act überhaupt, der dieses Angebot bekam. Damals lehnte er ab, die Ehre des ersten deutschen Unplugged-Auftritts im Jahr 1994 hatte dann Herbert Grönemeyer.
Jetzt hat Westernhagen, 67-jährig und mit dem vergleichsweise aktuellen Album Alphatier im Rücken, doch zugesagt. Er weiß sehr genau, welche beiden Herangehensweisen so eine Show bietet: Man kann sie als Audienz auffassen, sich im eigenen Ruhm und Status sonnen, in gemütlicher Runde mit ein paar Freunden ein paar beschauliche Lieder schrammeln, mit ausschließlich akustischem Instrumentarium. Oder man kann den Unplugged-Kontext als Gelegenheit begreifen, um sich selbst herauszufordern und das eigene Oeuvre neu zu interpretieren.
Marius Müller-Westernhagen hat sich, zumindest nach eigener Aussage, für Letzteres entschieden. Drei Wochen hat er für den Auftritt in der Berliner Volksbühne geprobt. „Wir wollten uns nicht einfach nur akustische Gitarren umhängen und die originalen Arrangements als verkapptes Best Of runterspielen. Es galt, das Material von über vier Jahrzehnten meiner Arbeit als Songschreiber zu sichten und sich mit ausschließlich analogen Mitteln völlig neu zu erarbeiten. Wir hatten die Ambition, es für uns wie für das Publikum auf den heutigen Stand unseres Verständnisses von guter Musik zu bringen“, umschreibt er die eigene Zielsetzung. Live auf der Bühne, vor dem letzten dieser 24 Lieder, sagt er dann noch: „Ich habe das vor allem als Herausforderung gesehen. Wir haben uns bemüht, es für euch interessant zu machen und auch für uns interessant zu machen.“
Leider ist davon auf dem heute als Doppel-CD und DVD/BluRay erscheinenden MTV Unplugged nichts zu hören. Westernhagen zeigt hier vielmehr, wie man so einen Auftritt gerade nicht angehen sollte: Alle Lieder klingen belangloser als sie es im Original waren, die Gäste sind überflüssig (Selig-Frontmann Jan Plewka ergänzt Mit 18) oder störend (die Stimme von Westernhagens Tochter Mimi ist in Lass uns leben zwar beeindruckend, aber nicht bereichernd), die Atmosphäre ist selbstgefällig.
Vor allem auf der ersten CD bleibt die Band in ihren Unplugged-Interpretationen sehr nah an den Originalen. Es geht mir gut beispielsweise verbreitet eine für diesen Abend typische Saloon-Atmosphäre, aber bis in die kleinste Phrasierung des Gesangs hinein ist das identisch mit der Studioversion. Geiler is’ schon hat hier keinen richtigen Rock-Sound, aber Rock-Attitüde, Alphatier wird viel zu pompös, Liebe um der Freiheit willen bekommt ein paar östliche Klänge verpasst, bleibt aber blutleer.
Man kann das vielleicht so interpretieren, dass Westernhagen weiterhin an die Kraft dieser Songs glaubt und deshalb keinen großen Renovierungsbedarf sieht. Der Effekt davon, dass hier sehr vieles so vertraut klingt (die paar Variationen, die es gibt, sind zwar durchweg keine Rohrkrepierer, aber eben auch keine Offenbarung), ist in erster Linie: Langeweile.
Schon der Start ist mit Willst du tanzen kein Knalleffekt, sondern sehr behutsam. Westernhagen ist nicht der Macker, sondern auf den Knien, voller Reue, bittend um Verzeihung. „Ein ewiges Kind, das sich verlaufen hat in seinem Eigensinn“, wie er singt. Als dann drei Lieder später Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz zu Ende geht (mit Udo Lindenberg an den Drums) und Westernhagen seinem Publikum rät: „Verausgabt euch nicht, es wird ein langer Abend“, fühlt sich das fast schon wie eine Drohung an.
Es folgen ein paar echte Tiefpunkte: Die Neukomposition Luft um zu atmen ist ein hübsches Lied, allerdings ist überdeutlich, dass Lindiwe Suttle (Westernhagens südafrikanische Lebensgefährtin, die den Song mit geschrieben hat) nicht die geringste Ahnung hat, worüber sie da singt. Das steht der emotionalen Wirkung bei aller Inbrunst des Gesangs dann doch im Wege. „Ich wollte keine Gäste einladen, nur weil sie im Augenblick populär sind und schon dadurch das Projekt kommerzieller gemacht hätten. Es sollten Freunde sein, Menschen, die mir nahestehen, Weggefährten. Alles andere hätte ich als unehrlich empfunden“, sagt Westernhagen, aber auch das kann kaum als Entschuldigung gelten.
Im unfassbar lahmen Sexy ist unverkennbar, dass Westernhagen nicht mehr der perplexe, leicht schadenfrohe Beobachter ist, der über einen alten Mann in der Venusfalle staunt, sondern dass er inzwischen selbst dieser alte Mann ist. Freiheit gerät so überkandidelt, dass es dem Lied jeden Rest von Würde oder historischer Bedeutung raubt und nichts übrig lässt als pathetischen Mistkack.
Eine Performance, die als ultimative Version eines Westernhagen-Songs gelten könnte, bietet MTV Unplugged nicht einmal annähernd, aber immerhin ein paar nette Momente finden sich. Nur ein Traum wird durch mehr Fokus auf den Rhythmus behutsam modernisiert. Wieder hier ist okay, Johnny W. als letztes Lied des Konzerts weiterhin unkaputtbar. Weil ich dich liebe wird um Streicher ergänzt, was nicht besonders überraschend ist, aber gut zu diesem nach wie vor sehr hübschen Lied passt. Taximann wäre der Höhepunkt der Platte, würde es sich nicht einem gnadenlosen Muckertum-Finale hingeben.
Willenlos ist weit nach der Halbzeit dieser Show der erste Moment, in dem es – wenn auch noch nicht direkt spannend – so doch zumindest interessant wird. Statt Latin-Flair gibt es hier ein eher keltisches Klanggewand, das gut passt. Mit seiner Interpretation von Heroes zeigt Westernhagen schließlich, dass er sich zwar nicht als Reinkarnation von David Bowie sieht, sich aber immerhin für qualifiziert hält, dem Rock’N’Roll-Hochadel seine ganz persönliche Referenz erweisen zu können.
Am Ende dieser knapp zwei Stunden hat sich der Verdacht eingeschlichen: Westernhagen bleibt hier nicht so nah an den Originalversionen seiner Lieder, weil er diese so hoch schätzt, weil er stolz darauf ist und auf ihre bewährte Wirkung vertraut. Vielmehr scheint er seine Zweifel zu haben, ob diese Lieder eine fundamentale Verwandlung oder radikale Erneuerung verkraften würden, ob sie wirklich genug Substanz dafür haben. Das ist die schreckliche Erkenntnis dieses Albums: Marius Müller-Westernhagen galt einmal als unangepasst, rebellisch, großspurig, als die größtmögliche Entsprechung eines Rockstars, die wir in Deutschland haben. Was auf MTV Unplugged, einer vermeintlichen Krönung seiner Karriere, aber in eklatanter Weise fehlt, sind ausgerechnet: Mut, Glamour und Aufregung.
Wenigstens etwas Innovation: Westernhagen spielt Willenlos unplugged in der Volksbühne.
https://www.youtube.com/watch?v=1p8hW18er28