Künstler*in | Maxine Kazis | |
Album | Die Evolution der Maxine Kazis | |
Label | Polydor | |
Erscheinungsjahr | 2016 | |
Bewertung |
Der erste Eindruck ist offenkundig nicht die größte Stärke von Maxine Kazis. Da ist erstens das Cover ihres Debütalbums. Sie ist nackt darauf zu sehen, und natürlich befürchtet man da, es bedürfe dieser plumpesten aller Methoden, um Aufmerksamkeit für die Platte zu erregen, um womöglich gar davon abzulenken, dass Die Evolution der Maxine Kazis musikalisch nicht viel zu bieten hat. „Ich wollte einfach etwas machen, das nach mir aussieht. Und so sehe ich nun mal aus, für den Moment“, erklärt die 27-Jährige die Pose. Doch den Verdacht einer billigen Provokation kann auch diese Begründung nicht entkräften.
Zweitens sind auch die Eckdaten des Albums nicht allzu erfreulich. Die gebürtige Schweizerin, die mittlerweile in Berlin lebt, wollte eigentlich Tänzerin werden, hat dann als Schauspielerin gearbeitet, bevor sie sich nun mit ihrem übermorgen erscheinenden Debütalbum als Musikerin versucht. Da kann man eine junge Frau am Werke vermuten, die sich verzweifelt nach dem Rampenlicht sehnt, obwohl sie ihre eigentliche Berufung noch nicht gefunden hat. Passend dazu hat Maxine Kazis in ihrer Karriere schon für fragwürdige Formate wie „Musical meets Pop“ mit Alexander Klaws auf der Bühne gestanden, auch die Mitwirkung von Peter Plate (einst bei Rosenstolz, mittlerweile Songlieferant für Sarah Connor oder Helene Fischer) ist eher ein Warnsingnal als ein Grund zur Freude. Dass Die Evolution der Maxine Kazis auch gleich als Deluxe-Edition erscheint (diese bietet noch drei weitere Songs sowie vier alternative Versionen von Albumtracks), stärkt ebenfalls den Verdacht, dass jemand hier in erster Linie möglichst große Aufmerksamkeit haben möchte, egal für welches Betätigungsfeld und ohne sich selbst über die geeigneten Inhalte klar geworden zu sein.
Diese These wird leider vom ersten Eindruck des Albums, nämlich von den ersten Songs, ebenfalls bestätigt. Die Single Zug nach Berlin will auf Teufel komm raus ein Sommerhit sein, und versucht vergeblich, das mit ein bisschen Sprechgesang, ein bisschen Bekenntnis-Pop und ein bisschen geheuchelter Euphorie zu erreichen. Du fehlst mir jetzt schon ist beliebiger Wegwerf-Pop und wäre womöglich sogar für das Repertoire von Frida Gold zu schlecht. Tanz für mich allein ist textlich völlig krude (Maxine Kazis singt aus der Perspektive eines Fisches) und eines von etlichen Liedern auf dieser Platte, in denen freimütig auf Reime verzichtet wird, ohne dass die daraus gewonnene formale Freiheit für überzeugendere Texte genutzt würde.
Als Schlüssel-Song des Albums kann Hinfalln Aufstehn Weitertanzen gelten. Maxine Kazis singt darin, zu einem Sound, der wohl funky sein soll, über ihre gescheiterte Karriere als Tänzerin. „Ich habe Ballett gemacht seit ich fünf war und habe mit 19 aufgehört, weil ich musste. Ich habe getanzt und nicht gegessen oder gekotzt, bis ich kaputt war. Ich wollte einfach die Beste sein. Bis ich fertig war“, sagt sie. Mit der Aufarbeitung dieses Abschnitts ihrer Biographie will sie im besten Falle „Menschen dazu bringen, sich zu hinterfragen, sich anzugucken, ob das was sie machen, gesund ist. Wenn ein paar Frauen ihre Waage aus dem Fenster schmeißen, ist schon viel erreicht.“
Das ist lobenswert, führt aber zum Kern des Problems dieser Platte. „Perfekt wollte ich sein / und es zog mich hinein ins Licht“, singt Maxine Kazis in Hinfalln Aufstehn Weitertanzen. Immer wieder werden von ihr das Kämpfen, die Ausdauer und die Disziplin beschworen. Ein wichtiger Gedanke ist ihr dabei offensichtlich nie gekommen: Wenn ich ein Metier wähle, in dem ich permanent kämpfen muss und nur unter Überwindung größter Widerstände vorankommen kann, dann ist es vielleicht das falsche Metier. Eines, das nicht meinen Fähigkeiten entspricht. „Talent“ bedeutet ja gerade, dass man sich leicht tut, schnell besser ist als der Durchschnitt, scheinbar spielerisch eine Meisterschaft erlangt, von der andere selbst bei maximaler Anstrengung nur träumen können. Wenn ich immer wieder gesagt bekomme, ich sei (als Tänzerin, als Schauspielerin, als Sängerin) nicht gut genug, dann sollte die Schlussfolgerung daraus vielleicht nicht lauten „Ich muss mich mehr bemühen“, sondern vielmehr: „Vielleicht stimmt es ja – ich bin wirklich nicht gut und sollte etwas anderes machen.“
Genau diesen Gedanken vermisst man hier, Die Evolution der Maxine Kazis zeigt freilich auch, woran das womöglich liegt. Es zieht Maxine Kazis, wie sie selbst singt „hinein ins Licht“. So etwas wie Bestätigung für ihren Selbstwert erfordert bei ihr offensichtlich immer ein Publikum. Das ist womöglich nicht besonders gut für die seelische Gesundheit, in jedem Falle ist es nicht besonders erwachsen. Auch das letzte Drittel von Die Evolution der Maxine Kazis zeigt dieses Defizit: Espenlaub ist purer Kitsch, Abgrund will düster und tiefgründig sein, klingt aber dumm und durcheinander. Wer wird uns sehn funktioniert weder textlich noch emotional, erst recht nicht mit seinem pseudo-dramatischen Vocoder-Sound. Negativer Höhepunkt ist Monoton, mit dem Gastauftritt eines namentlich nicht benannten Rappers, dessen Sprechgesang klingt, als würde ein minderbemittelter Schüler gegen seinen Willen vom Lehrer aufgefordert, den Text aus seinem peinlichen Poesiealbum vorzulesen, den er dann zwanghaft (und vergeblich) cool klingen lassen will.
Was solche Rohrkrepierer besonders ärgerlich macht: In der Mitte dieses Albums zeigt Maxine Kazis, dass durchaus Talent in ihr steckt und man bei ihr auch das finden kann, was dem Rest der Platte abgeht: Idenität. Die Eigenständigkeit, die Maxine Kazis in Interviews, mit ihrem Werdegang oder mit der Wahl das Nacktfotos für das Albumcover stets behauptet, findet sich da endlich auch in der Musik. „Ich bin eine Ruine / und ich baue einen Zaun um mich herum / betreten leider zwecklos, sinnlos“, singt sie in der eindrucksvollen Klavierballade Ruine. Da wird der persönliche Schmerz erstmals authentisch, fühlt sich echt und unmittelbar an, gerade durch seine Schonungslosigkeit. „Urteile kommen von außen oder innen. Die von innen können schlimmer sein, und verheerender. Ich arbeite dran, vielleicht ja für immer. Ich werde aber, glaube ich, besser darin“, sagt Maxine Kazis, und hier gelingt es ihr erstmals, diesen Gedanken auch in einen stimmigen Song zu packen.
U3 hat den besten Refrain des Albums zu bieten und handelt von einem Mann, der einmal der eine, besondere Mann in ihrem Leben war, und sie jetzt nicht einmal mehr in der U-Bahn erkennt. „Du steigst in die U3 / und drehst dich nicht mal um / und ich, ich werde nicht weinen / dabei hätte ich jeden Grund.“ Ebenso eigenständig wie spannend wird Dreck, der beste Song auf Die Evolution der Maxine Kazis. Das Unausgegorene, das die Qualität ihrer Texte oft schmälert, wird hier in eine Stärke verwandelt, weil das Lied zu einem vergleichsweise gewagten Electrosound und ohne klare Songstruktur einfach eine Aufzählung wird von allem, was sie abfuckt, darunter: die Menschheit, ihr Label, ihr Arsch, Alleinsein, Rauchen, Faschismus, Essen, Berlin, Sex, kein Sex, deine Mutter, Yoga.
Auch Ex hat seinen Reiz. „Das Lied war in 20 Minuten geschrieben und wurde danach nicht mehr angefasst“, sagt Maxine Kazis über den Song, der mit seinem expliziten Umgang mit Blowjobs, Bisexualität und spontaner Lust, die sofort nach Befriedigung schreit, von Peaches beeinflusst scheint. Aber auch hier überwiegt, wie auf dem gesamten Allbum, der Eindruck: Mit etwas mehr Konzentration, Fokus und Mühe hätte viel mehr daraus werden können. Potenzial ist da bei dieser Künstlerin, aber für ein zumindest passables Album fehlt allzu oft die passende Form. Die schlechten Songs sind so schlecht, dass es wirklich ärgerlich wird. Die guten sind eher ein Versprechen als ein fertiges Werk, weshalb sie kaum in der Lage sind, all die vielen Ausfälle zu kompensieren.
Aufm Klo und inner Kneipe entstand das Video zu Ex.
https://www.youtube.com/watch?v=XiDQIcUFPIE