Künstler | Moddi | |
Album | Unsongs | |
Label | Propeller Recordings | |
Erscheinungsjahr | 2016 | |
Bewertung |
Man kann das, auf dem Papier, wahrscheinlich nur schräg finden. Oder anmaßend. Oder pathetisch. Oder musikalischen Imperialismus darin erkennen. Da singt Pål Moddi Knutsen, ein 29 Jahre alter Norweger, tatsächlich seine Version von Where Is My Vietnam? Er singt das Lied so, als sei das gebeutelte Vietnam tatsächlich sein Heimatland, und er nimmt sich die Freiheit, das Stück nicht nur zu übersetzen, sondern auch inhaltlich ein wenig anzupassen und ihm musikalisch seinen ganz eigenen Stempel aufzudrücken. Und das, obwohl das Original unantastbar sein sollte, spätestens seit sein Autor Viet Khang wegen des Lieds inhaftiert wurde, weil das Regime in Vietnam darin staatsfeindliche Propaganda sah.
Aber der Song hat, hört man ihn als das vorletzte von zwölf Stücken auf den heute erscheinenden Unsongs, einen ganz anderen Effekt: Es zeigt so etwas wie die Universalität im Kampf der Menschen um Freiheit, Frieden und Selbstbestimmung. Moddi, der 2010 sein Debütalbum Floriography und danach zwei weitere Longplayer veröffentlichte, hat für Unsongs nur Lieder ausgewählt, die in irgendeiner Form zum Opfer von Zensur wurden. Aus zwölf verschiedenen Ländern von China bis Algerien, von Chile bis zu den USA. Er hat sie ins Englische übersetzt, manchmal den Text ein wenig angepasst, ohne die Kernbotschaft zu verändern, und dann mit seinen eigenen Folk-Pop-Mitteln neu vertont. Das Ergebnis ist umwerfend: Die Unsongs zeigen, wie vielfältig der musikalische Protest sein kann, und wie viel die Aktivisten, die hier – trotz der Versuche ihr Werk zu unterdrücken – zu Wort kommen dabei doch gemeinsam haben.
„Das Wichtigste sind nicht die Songs selbst, sondern die Geschichten, die sie enthalten. Ich habe zwölf Songs ausgesucht, von denen ich überzeugt bin, dass sie es verdienen, gehört zu werden“, sagt er. Auf die Idee kam Moddi, der sich vor seiner Musikkarriere bei der Socialist Youth und den Young Friends Of The Earth engagierte, als er 2014 einen Auftritt in Israel absagte und dann von einer Musikerkollegin auf ein Lied aufmerksam gemacht wurde, das von Eli Geva handelt, einem israelischen Offizier, der sich im Krieg gegen den Libanon 1982 weigerte, seine Truppen nach Beirut zu führen. Moddi machte seine eigene Version dieses Lieds und war fasziniert, welche Wirkung das entfaltete, wenn er es im Konzert spielte: „Die Menschen reagierten auf dieses Lied komplett anders als auf meine anderen Songs. Leute verließen den Raum, weil sie mit dem Text nicht einverstanden waren. Andere weinten, weil sie sich an den Krieg erinnerten. Schon seltsam, dass so ein kurzes Lied so viel Geschichte enthalten kann.“
So entstand das Konzept, eine Sammlung von Songs aufzunehmen, die auf verschiedene Arten verboten oder unterdrückt wurden. “Manche sagen, Musiker sollen sich aus der Politik raushalten und nur das machen, was sie können, nämlich unterhalten”, räumt Moddi ein. “Das Argument habe ich auch gehört, als ich die Show in Tel Aviv abgesagt habe. Aber eigentlich dient das nur dazu, Musiker zu manipulieren und kleinzuhalten. Indem man sie von Politik abhält, werden Künstler machtlos gemacht. Unsere größte Waffe liegt doch darin, dass wir Menschen zum Zuhören bringen können.”
Moddi hatte eine Liste mit über 400 Liedern zusammen, nachdem er über Freunde und soziale Netzwerke nach geeignetem Material gesucht hatte. Auch Eli Geva ist vertreten, ebenso wie das schon genannte Where Is My Vietnam? Die anderen Lieder stammen aus verschiedenen Zeitaltern und verschiedenen Gegenden der Welt, von traditionellen Liedern der norwegischen Ureinwohner bis zum Punk Prayer, der Pussy Riot in Russland ins Gefängnis gebracht hat. Es ist die eindeutig stärkste Leistung der Unsongs, die Verbindung zwischen ihnen aufzuzeigen: Stolz und Mut stecken darin und bleiben auch in den sehr respektvollen Neubearbeitungen von Moddi erhalten. „Mit Sensibilität, Melancholie und beeindruckender musikalischer Inspiration leiht der frühere Friedensaktivist den Verstummten seine markante Stimme und stellt die Zensoren bloß. Ein kluges, berührend pazifistisches Album zur rechten Zeit“, hat Galore diese Qualität erkannt.
Besonders ist einerseits, wie schön diese Platte ist, die doch lauter sozialen und politischen Sprengstoff enthält. Wer die Texte ignoriert, könnte Unsongs für eine lauschig-romantische Herbstplatte halten. The Our Worker (im Original von Folksänger Victor Jara, der während des Militärputschs in Chile hingerichtet wurde) ist einer der wenigen Momente, in denen Wut und Aggressivität erkennbar werden. Viele andere Lieder klingen wie die perfekte Vertonung eines Plädoyers für Menschlichkeit (A Matter Of Habit, geschrieben vom Israeli Izhar Ashdot) oder hymnisch und erhebend wie Open Letter (vom Algerier Lounès Matoub, der sein Eintreten für Meinungsfreiheit ebenfalls mit dem Leben bezahlte).
Zum anderen wird deutlich, wie elementar die Ziele sind, die hier eingefordert werden. Die zwölf ausgewählten Songs treten nicht für avancierte Programme ein, für Umverteilung, Gleichberechtigung von Minderheiten oder eine bestimmte Ideologie. Es sind die absoluten Basics eines würdigen Lebens, die den Autoren von ihrem jeweiligen Regime nicht gestattet werden. Die Lieder richten sich gegen Bevormundung und Unterdrückung. Sie treten für ein System ein, in dem die Menschen selbstbestimmt leben können, nach ihren eigenen Regeln und Traditionen. Sie wollen die Menschen aufrütteln, die genauso unter einem autoritäten Regime leiden, aber nicht wagen, zu protestieren.
Das dominierende Thema ist der Krieg. Niemand will Kanonenfutter sein, niemand will Gewalt, niemand will Militär: Das gilt in etlichen dieser Unsongs. Wie selbstverständlich das sein sollte und wie unerreichbar es doch in vielen Regionen der Welt noch immer erscheint, machen diese Lieder auf erschütternde Weise klar – und Moddi bringt es auf höchst kreative Weise in Erinnerung.
Auch seine Version des Punk Prayer wollte Moddi in einer Kirche spielen, es wurde ihm aber verboten.
Moddi nimmt die Unsongs mit auf Tour.
24.09.2016 – Emergent Sounds Festival (Köln)
06.10.2016 – Silent Green (Berlin)
07.10.2016 – Häkken (Hamburg)
08.10.2016 – Bedroom Disco (Darmstadt)
Auf einer eigenen Website gibt es viele Hintergründe zu den Unsongs.