Modern Baseball – „Holy Ghost“

Künstler Modern Baseball

Holy Ghost Modern Baseball Albumkritik Rezension
Streng zweigeteilt ist „Holy Ghost“.
Album Holy Ghost
Label Big Scary Monsters
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

Da sage noch einer, das Bildungssystem sei im Arsch. Bei Modern Baseball kann davon keine Rede sein. Jacob Ewald und Brendan Lukens, die beiden Köpfe der Band aus Philadelphia, haben ihm quasi alles zu verdanken.

Angefangen haben sie in einem High-School-Projekt in einer Kleinstadt in Maryland als Akustikduo. Später an der Uni haben sie nicht nur ihren Bassisten (Ian Farmer) gefunden, sondern auch gleich das Tonstudio der Hochschule genutzt, um ihr 2012 veröffentlichtes Debütalbum Sports aufzunehmen. Als sie einen Schlagzeuger brauchten, stand ihr ehemaliger Klassenkamerad Sean Huber parat. Und in den Semesterferien waren sie so fleißig auf Tour, dass ihre Fanbase bald groß genug geworden war, um das zweite Album You’re Gonna Miss It All 2014 sogar in die US-Charts zu bringen.

Wie viel dieser Lebenslauf für die akademischen Meriten von Modern Baseball gebracht hat, weiß ich nicht. Aber für eine Band ist es natürlich eine wundervoll organische Entwicklung. Besonders erfreulich: Ihr morgen erscheinendes drittes Album zeigt, dass die Jungs wirklich sehr gelehrige Schüler sind. Holy Ghost hat eine große Unmittelbarkeit (nur vier Lieder überschreiten die 3-Minuten-Grenze, die Gesamtspielzeit liegt bei 28 Minuten), zeugt aber auf die denkbar beste Weise auch von einer enormen Weiterentwicklung.

Apple Cider I Don’t Mind ist einer der Tracks, die viel Reife zeigen, aber nichts mit Altersmilde zu tun haben wollen. Auch Everyday ist kein bisschen zahnlos, aber weit entfernt von jugendlichem Ungestüm. What If thematisiert dann ganz explizit die Lerneffekte, die das Leben mit sich bringt.

In gewisser Weise haben sich Modern Baseball mit Holy Ghost sogar an ein Konzeptalbum gewagt: Die ersten sechs Songs hat Jacob Ewald geschrieben, die folgenden fünf Songs bis zum Ende des Albums stammen aus der Feder von Brendan Lukens. Letzerer erweist sich dabei als der kreativere Songwriter, Ersterer als der bessere Sänger.

Mass legt nahe, dass es eine bisher unentdeckte Schnittmenge aus The Gaslight Anthem (über diese Vorliebe fanden Ewald und Lukens in den Anfangstagen der Band zueinander) und Jimmy Eat World gibt. Breathing in Stereo klingt wie The Killers (die Modern Baseball neben Pedro The Lion als wichtigsten Einfluss für ihr drittes Album anführen) nach einer Hardcore-Weiterbildung. In Holy Ghost, das die Platte eröffnet, singen sie zu zweit zur akustischen Gitarre, genau wie in der Entstehungsphase der Band.

Auch Hiding bleibt lange Zeit akustisch, trotzdem steckt genauso viel Spannung und Leidenschaft drin wie in einem Kracher à la Wedding Singer oder dem ebenso komplexen wie kraftvollen Coding These to Lukens. Der Schlusspunkt Just Another Face ist vielleicht der Höhepunkt des Albums: einfach ein sehr gutes Lied in einem sehr coolen Sound. Als Schlüssel-Song kann aber vielmehr Note To Self gelten. “I am weak and I am stubborn / … / but I wanna make something good”, singt Jacob Ewald darin, bevor ein hymnischer Refrain folgt. Früher hat man wohl Emo dazu gesagt, aber weil das ja mittlerweile ein Geschmäckle hat, kann man auf die Schublade gerne auch schreiben: gute, schlaue und gefühlvolle Rockmusik.

Modern Baseball spielen Apple Cider I Don’t Mind live.

Website von Modern Baseball.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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