Künstler | Modest Mouse | |
Album | Strangers To Ourselves | |
Label | Epic | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
Wow! So gut klangen die Red Hot Chili Peppers schon ewig nicht mehr. Lampshades On Fire hat viel Muskelkraft, einen packenden Sprechgesang und einen funky Refrain. Das Problem ist nur: Lampshades On Fire ist gar nicht von den Red Hot Chili Peppers. Sondern der zweite Song auf Strangers To Ourselves, dem neuen Album von Modest Mouse.
Die Band um Sänger Isaac Brock legt (acht Jahre nach dem letzten Studioalbum We Were Dead Before The Ship Even Sank und sechs Jahre nach dem Ausstieg von Johnny Marr sowie der bisher letzten Veröffentlichung, der EP No One’s First And You Are Next) eine Platte vor, die manchmal klingt wie ein Sampler aller Spielarten von moderner, intelligenter Rockmusik. Strangers To Ourselves ist nicht nur abwechslungsreich, sondern nachgerade aufregend – nicht schlecht für eine Band im 22. Jahr ihres Bestehens.
Ansel hat Steeldrums und ein Arcade-Fire-Feeling, Wicked Campaign könnte man sich im Prinzip von den Killers vorstellen, Be Brave strahlt eine Intensität und Kreativität aus, wie man sie von Kaizers Orchestra kennt. Wenn Clap Your Hands Say Yeah den Auftrag hätten, ein Lied zur Beerdigung des ganzen Universums zu schreiben, könnte vielleicht etwas wie Of Course We Know herauskommen. Wenn Country noch Nachhilfe in Ironie und Sarkasmus bräuchte, würde God Is An Indian And You’re An Asshole als Lehrbeispiel taugen.
Aufgenommen wurde das Ganze in Isaac Brocks brandneuem Studio in Portland, zu den Gästen gehören unter anderem James Mercer (The Shins), Dann Gallucci (Cold War Kids) und Jim Fairchild (Grandaddy). Was das Album zusammenhält, ist der inhaltliche Überbau: Immer wieder geht es auf Strangers To Ourselves um Klimawandel, Umweltzerstörung und Maßlosigkeit im Ressourcenverbrauch, auch das schon erwähnte Lampshades On Fire handelt (was man sich bei den Chili Peppers nie vorstellen könnte) vom allzu leichtfertigen Umgang mit unserem Planeten.
Es sind die ganz großen Themen, die hier behandelt werden, aber Modest Mouse haben das musikalische und intellektuelle Vermögen, um ihnen gerecht zu werden. Pistol veralbert geschickt Macho-Klischees und die dazugehörigen Sprachbilder. Shit In Your Cut entwickelt durch den Gitarreneffekt und die fast mittelalterlichen Trommeln eine geheimnisvolle Bedrohlichkeit. Der Titelsong eröffnet das Album als träge John-Lennon-Ballade, Coyotes ist entspannt und doch doppelbödig.
Der Wille zur Boshaftigkeit und die musikalische Vielfalt lassen oft an die Flaming Lips denken, Modest Mouse haben aber nichts von deren Zynismus. „The world’s an inventor / we’re the dirtiest things it’s thought about“, ist eine typische Zeile für die allumfassende Selbstkritik, die Strangers To Ourselves prägt. Wenn Isaac Brock „wir“ sagt, dann meint er in diesen Liedern immer gleich die gesamte Menschheit.
The Best Room ist clever in jeder denkbaren Hinsicht, Sugar Boats entpuppt sich als Monster, zu dessen Erbgut Kurt Weill ebenso beigetragen hat wie Tom Waits und ein unbekannter Polka-Großmeister. The Ground Walks, With Time In A Box ist tanzbar, exotisch, einfallsreich und messerscharf wie die besten Momente der Talking Heads. The Tortoise And The Tourist wird ein Lied wie ein schlimm entzündetes Geschwür.
Man kann Strangers To Ourselves nur bewundern: Es ist ein Album, das großen Spaß macht. Es ist zugleich eine Platte über das schlechte Gewissen, aber auch über den Versuch, es abzuschütteln – oder gar ein Ansporn, ein so guter Mensch zu werden, dass ein schlechtes Gewissen gar nicht mehr nötig ist.