Künstler | My First Band | |
Album | Corazon | |
Label | Sony | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
„Dass aus Skandinavien einfach gute Musik kommt, wissen wir.“ So beginnt die Mail, mit der mir dieses Album angepriesen wurde. Der kurze Satz enthält zwei Fehler. Erstens gehört Finnland, die Heimat von My First Band, kulturell betrachtet nicht zu Skandinavien. Zweitens enthält Corazon, das erste international veröffentlichte Werk des Quintetts nach zwei vorangegangenen Alben in den Jahren 2009 und 2011, kein bisschen gute Musik.
Der dämliche Bandname ist schon das erste Problem, aber noch halbwegs einleuchtend, wenn man weiß, dass sich Sänger Antti, Gitarrist Mikko, Drummer Heikki, Keyboarder Heikki und Bassist Juho tatsächlich in der Grundschule getroffen haben und sich somit schon seit 15 Jahren kennen. Für sie alle war diese Formation tatsächlich die allererste Band. Frontmann Antti Koivula ist stolz darauf: „Die Tatsache, dass wir einander so nah geblieben sind, zusammengehalten haben und jetzt endlich die Chance bekommen, Shows in ganz Europa zu spielen ist mehr als ein Traum, der in Erfüllung geht. Wie wahrscheinlich ist es denn bitte, dass ich, obwohl wir alle in verschiedenen Projekten mit den unterschiedlichsten Musikern gearbeitet haben, ausgerechnet an meiner High-School die Typen treffe, die einfach die Besten sind und mit denen ich am meisten Spaß habe?“
Das so hoch gelobte finnische Schulsystem, das zur Keimzelle dieser Band wurde, scheint allerdings eine relativ schlimme Lücke im Curriculum zu haben: Guter Geschmack und Stilsicherheit werden dort offensichtlich nicht gelehrt. Das beweist die Frisur, die Jari Litmanen jahrelang mit sich herum getragen hat. Das beweisen die wunderbaren Aussetzer von Matti Nykänen. Und das beweisen nicht zuletzt die unsäglichen Sunrise Avenue, mit denen My First Band kürzlich auf Deutschland-Tour waren und deren Frontmann Samu Haber zudem Manager der Band ist.
Auch musikalisch gibt es ein paar Parallelen zu Sunrise Avenue: Inspiration oder gar ein eigener Stil sollen hier offensichtlich durch halbwegs professionelle Beherrschung der Studiotechnik ersetzt werden, doch das misslingt. My First Band haben vor den Aufnahmen zu Corazon ihr eigenes Studio eingerichtet, mit dem wunderbar finnischen Namen Äänivallila – das neue Hauptquartier der Band hat auch gleich den Opener We Built A House inspiriert. „Das Album beginnt mit den Worten: ‚We built a house for music we love’ und genau das haben wir getan. Nach unseren ersten beiden Alben ist Corazon das erste Album, für das wir alle Geschichten, Melodien und Texte geschrieben haben. Ich schätze, musikalisch gesehen, haben wir hier ein Album, das sich nicht mehr wie WIR anhören könnte, und für mich ist das super spannend“, erklärt Sänger Antti. Die Musik dazu klingt zum Start der Platte, als sei Meat Loaf am Strand von Ibiza angespült worden, und das ist in keinerlei Hinsicht eine schöne Vorstellung.
Parachute bietet danach ein bisschen Auto-Tune und viel „Ohoho“, später setzt Manilla Vanilla auf Pathos und sonst nichts. Nach 51 Minuten hat man es dann überstanden, Let It Go ist genau der kitschige Schlusspunkt, den man bei Corazon schon ab dem dritten Lied hatte befürchten müssen.
Es gibt seltene Lichtblicke wie New Lang Syne, das wie eine beinahe brauchbare Ballade (BBB!) beginnt, dann aber kein Ziel findet und bloß ins Nichts mäandert, oder Delorean, das zumindest solange als patenter Power-Pop (PPP!) durchgehen könnte, bis Antti Koivula anfängt zu singen.
Dem stehen allerdings viele schlimme Momente gegenüber, vor allem reichlich misslungene Achtziger-Referenzen. In This One’s Gonna Hurt (nomen est omen) muss man die ganze Zeit befürchten, dass gleich Rick Astley aus dem Lied springt oder gar Sandra. Don’t Break My Corazon zeigt, dass die Kontamination mit Modern Talking offenbar einst auch den hohen Norden Europas erreicht hat. Thank You For Your Heart will politisch sein (es geht um illegalen Organhandel), ausgerechnet zu einem Klangbild, das wahrscheinlich sogar Florian Silbereisen als zu seicht abgelehnt hätte. Teenage Dreamstage vergreift sich an dem Sound, den einst Bruce Springsteen mit seiner E-Street-Band geprägt hat, inklusive eines Gastauftritts von Michael Monroe (Hanoi Rocks) am Saxofon.
Man kann sich nur wundern, warum so etwas nicht längst verboten ist (und warum ein Major-Label auch noch glaubt, My First Band hätten das Zeug für den internationalen Durchbruch). Corazon bietet nichts als schlechte Texte in schlechtem Englisch, dargebracht von einem schlechten Sänger zu völlig wahllos anmutender Musik. Ekelhaft.