Künstler | Natalie Imbruglia | |
Album | Male | |
Label | Sony | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
Eine Platte ausschließlich mit Coverversionen macht man entweder, wenn man es sich erlauben kann und die Fans einem ohnehin jede neue Veröffentlichung aus den Händen reißen. Oder wenn man kreativ am Ende ist und einem wirklich nichts Eigenes mehr einfällt.
In die erste Kategorie fallen meinetwegen Rod Stewarts American Songbook-Reihe oder Swing When You’re Winning von Robbie Williams. In die andere Kategorie könnte man At Last von Cyndi Lauper oder Cover Up von Ministry einordnen. Und, zumindest auf den ersten Blick, auch Male, das fünfte Album in der Karriere von Natalie Imbrugla.
Immerhin hat die Australierin seit sechs Jahren keine Musik mehr veröffentlicht, sich zuletzt wieder stärker auf ihre Schauspielkarriere (unter anderem mit Theaterauftritten in London) und Wohltätigkeitsarbeit (unter anderem für Virgin Unite) konzentriert. Und im Hinblick auf kommerziellen Erfolg hatten ihre Platten zuletzt wahrlich keine Bäume mehr ausgerissen. Der Vorgänger Come To Life bekam zwar ordentliche Kritiken, die höchste Chartposition war allerdings Platz 25 in Russland, selbst in Australien sprang nur noch Platz 67 heraus.
Allerdings muss man einräumen: Zu Coverversionen dürfte Natalie Imbruglia eine ganz besonders Beziehung haben. Schließlich war das Lied, das ihre musikalische Karriere in Gang setzte, ein Cover: Torn wird zwar heute fast ausschließlich mit ihrer Version in Verbindung gebracht, wurde allerdings ursprünglich schon 1995 von der US-Band Ednaswap veröffentlicht, ohne größeren Eindruck zu hinterlassen. Zwei Jahre später machte Imbruglia daraus einen Welthit. Das Lied war Nummer 1 in den USA, erhielt im UK und in ihrer australischen Heimat Platin. Ihr dazugehöriges Debütalbum Left Of The Middle verkaufte sich bis heute weltweit 7 Millionen Mal, und insgesamt dreimal wurde Imbruglia für den Grammy nominiert.
Sich nun also erneut dem Material anderer Künstler, und zwar ausschließlich von Männern, zu widmen, erscheint einleuchtend – und war für die 40-Jährige besonders reizvoll, wie sie sagt: „Ich fühlte mich durch Songs von Männern angesprochen, wollte sie aber aus einer weiblichen Perspektive interpretieren. Auch sollte die Stimme im Vordergrund stehen, und das Ganze sollte organisch mit richtigen Musikern und geringem Aufwand über die Bühne gehen. Vor allem aber lag mir an einem emotionalen Bezug zu allen anderen Titeln.“
Die andere Perspektive beschränkt sich oft darauf, dass im Text „She“ zu „He“ wird, wenn es um Angebetete oder Nebenbuhler geht. Aber man hört Male an, dass alle Beteiligten mit Spaß und Kreativität bei der Sache waren. I Will Follow You Into The Dark (die Vorlage stammt von Death Cab For Cutie) klingt wirklich nach Freude am Singen und nach Liebe zum Musikmachen, nicht nach kalkuliertem Comebackversuch oder halbherzig gepflegtem zweiten Karriere-Standbein.
The Wind (eigentlich von Cat Stevens) ist eins von den Liedern, bei denen man sicher sein kann, dass sie dem Schöpfer des Originals gefallen werden. Naked As We Came (das Original ist von Iron & Wine) zeigt, wie gut Natalie Imbruglias Stimme klingen kann, die hier fast nur von einer Gitarre begleitet wird – auch wenn Male ein wenig daran krankt, dass sich die Australierin meist auf diese eine Stimmlage beschränkt, in der sie sich am wohlsten fühlt. Auch bei Neil Youngs Only Love Can Break Your Heart wählt sie diese Stimmlage und lässt sich nur vom Bass begleiten – es wird der beste Song dieses Albums.
Die Grundstimmung ist bei diesem wie bei fast allen anderen Liedern Caféhaus-Pop. Produzent Billy Mann (P!nk, John Legend, Celine Dion), der auch etliche Instrumente beisteuert, sorgt dafür, dass das Ambiente stets geschmackvoll bleibt – auch dann, wenn die Arrangements etwas ausgefallener werden wie in Let My Love Open The Door (geschrieben von Pete Townshend) mit Flöten, Glockenspiel und Marschkapellentrommel oder The Cures Friday I’m In Love, das hier zur verwegensten Bearbeitung wird, mit Banjo-Solo, Squaredance-Beat und Erntedankfest-Stimmung.
Auch The Waiting (Tom Petty) wird von Natalie Imbruglia ein bisschen countryfiziert, in Goodbye In His Eyes (Zac Brown Band) ist dieses Genre noch präsenter. „Dieser Song liegt meiner Stimme, und ein gelegentlicher Ausflug in die Country Music kann nicht schaden“, erklärt sie, warum sie diesen eher unbekannten Song ausgewählt hat.„Es ging uns darum, unterschiedliche Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man Songs aus weiblicher Perspektive neu gestaltet, aber dennoch dem Original treu bleibt“, umschreibt die Australierin ihren Ansatz. „Viele dieser Titel wurden von Künstlern geschaffen, die ich besonders schätze oder die mir Anregungen vermittelten. Ich habe aber auch ganz andere Entdeckungen gemacht.“
Zu den eher überraschenden Titeln gehören auch I Melt With You (von den Eighties-Eintagsfliegen Modern English) und die erste Single der Platte: Instant Crush von Daft Punk und Strokes-Sänger Julian Casblancas hatte man nicht unbedingt in einer solchen Gitarren-Version erwartet – erst recht nicht von Natalie Imbruglia, erst recht nicht so gelungen. Ihre Interpretation ist streng akustisch, trotzdem kraftvoll und bewahrt die Nervosität und Eleganz der Vorlage. „In der Originalfassung kann man eigentlich gar nicht verstehen, wovon der Song handelt, was auf den Effekt von Julians Stimme zurückzuführen ist, die ich übrigens sehr mag. Weil aber die Geschichte so anrührend ist, wollte ich, dass die Leute sie auch hören und die Worte verstehen. Auf das Ergebnis bin ich wirklich stolz“, sagt sie.
Das Manko von Male ist die Weigerung, wirklich mutig zu werden. Cannonball (Damien Rice) ist ein gutes Beispiel für diesen etwas zu gefälligen Sound, den man beispielsweise vom Unplugged-Album der Corrs kennt. Auch The Summer (Joshua Pike) passt in diese Reihe und will sich womöglich bei irgendwem einschmeicheln, der die Macht hätte, VH1 wieder ins Free TV zu bringen und alle Radiosender zu verbieten, die etwas anderes spielen als Adult Pop.
So bleibt eine solide Platte, die einmal mehr beweist, dass Natalie Imbruglia die Sache mit der Musik nicht nur ernst nimmt, sondern auch beherrscht. Aber auch ein Werk, das einige der Möglichkeiten verschenkt, die ein Covers-Album bietet. Statt dass die Coverversion glänzt, indem sie einen Song erst seiner bisher nie erkannten wahren Bedeutung zuführt (wie das einst bei Torn gelungen war), glänzt oft das Original, weil man erkennt, wie gut es auch in abgewandelter Form funktioniert, wie stark seine Substanz also ist.
Natalie Imbruglia als Desperate Housewife – im Video zu Instant Crush.
https://www.youtube.com/watch?v=fRDFwXFknmY