Hingehört: Nena – „Oldschool“

Künstler Nena

54 und unvernünfftig - beides zeichnet Nena auf "Oldschool" aus.
54 und unvernünfftig – beides zeichnet Nena auf „Oldschool“ aus.
Album Oldschool
Label Laugh & Peas
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

„Das Wort Freiheit klingt so schön, dass man es nicht entbehren könnte, und wenn es einen Irrtum bezeichnete.“

Freiheit ist offensichtlich nicht nur für Johann Wolfgang von Goethe, von dem der schöne Spruch oben stammt, ein zentraler Wert, sondern auch für Gabriele Susanne Kerner alias Nena. Die bald 55-Jährige hat es sich in ihrer Karriere herausgenommen, als deutsche Sängerin die US-Charts zu erobern, in einem Film mit Karl Dall zu spielen, eine Privatschule zu gründen, auf der Titelseite des Otto-Katalogs zu posieren und mehrere Platten mit Kinderliedern herauszubringen. Unter anderem. Heute erscheint ihr 18. Album – und sie nimmt sich die Freiheit heraus, sich neu zu erfinden.

Oldschool heißt die Platte, und sie hat zwei entscheidende Stärken. Die erste ist das eben erwähnte Bekenntnis zur Unabhängigkeit. „Mach doch was ich will / das mach ich schließlich auch“, heißt eine Zeile im sehr coolen Mach doch was ich will, das nicht nur mit Andeutungen auf sexuelle Dominanz und Unterwerfung spielt, sondern auch zeigt, dass Nena offenbar auch schon mal etwas von den Chicks On Speed gehört hat.

„Wenn es passieren soll, dann passiert es sowieso“, singt sie in Schicksal, das eine sehr reizvolle Gelassenheit ausstrahlt. Und auch in Sonnemond feiert sie die eigene Souveränität, die auch das Recht einschließt, keine Pläne zu schmieden und sich keinen Kopf zu machen. „Wenn die Zeit reif ist für ein neues Album, dann lasse ich mich voll und ganz drauf ein. Ich überlege nie vorher, in welche Richtung es gehen soll, ich mach einfach“, erklärt Nena ihre dazu passende Herangehensweise.

Die zweite Stärke ist eine erstaunliche Kombination aus Nostalgie und Aktualität. Für Ersteres sorgt Nena selbst. Sie leugnet nicht, dass sie den alten Zeiten und ihrer Jugend nachtrauert („So singen wir die ganze Nacht, unsere Lieblingslieder, Lieder von früher“, heißt es in der sehr beschwingten Single Lieder von früher). Und sie zeigt auf Oldschool: Kaum jemand im deutschen Pop hat so viel Potenzial, mit Referenzen auf den eigenen Status und Verweisen auf die eigene Karriere zu spielen – und keiner (außer Nenas altem Kumpel Udo Lindenberg) tut es so gekonnt. Für Letzteres sorgt Samy Deluxe. Er hat das Album produziert, und zwar umwerfend gut: Nichts ist peinlich, das Meiste ist zeitgemäß, alles ist schick.

„Nena ist oldschool und immer noch voll relevant. Sie kann einfach alles verkörpern, von Punkrock bis zu den schönsten Balladen, und bleibt dabei immer authentisch“, schwärmt Samy Deluxe. Er hat Nena 2012 kennen gelernt und ihr vorgeschlagen, gemeinsam an ein paar Songideen zu basteln. Die Zusammenarbeit hat höchst erstaunliche Ergebnisse gebracht. Es gibt überraschend viele Gitarren auf Oldschool (und zwar solche, die rocken, am deutlichsten im Bonustrack Zaubertrick, einer Live-Version des Lieds von ihrem 1983er Nena-Album). In anderen Momenten ist der Sound oft näher an Deichkind als an, meinetwegen, Ina Müller – und mehr kann man kaum verlangen von einer 54-Jährigen, die modern sein möchte.

Passend zum neuen Produzenten beginnt die Platte mit Sprechgesang. Nena rappt im Titelsong zu Proto-HipHop und liefert, ebenso passend für dieses Genre, eine Kampfansage: „Ich bin so lange da und immer noch so so cool“, lautet die, mit dem freimütigen Geständnis, dass ihre erste Platte vor 34 Jahren rauskam und damit so alt ist, dass man sie heute nirgends mehr kaufen kann. Ja das wars hat eine ähnliche reizvolle Mischung aus Selbstbewusstsein und Bedenkenlosigkeit, so clever ausformuliert und so ansteckend positiv, dass man sich das auch von Wir sind Helden vorstellen könnte. Ein Lied wie Genau jetzt würde auch auf das letzte Album von Juli passen und zeigt, dass Nena einst dieses Säuseln im deutschen Pop etabliert hat, das auch Eva Briegel heute so gut beherrscht.

Voll und ganz Oldschool ist auch das Konzept von „Value for Money“, das womöglich hinter der Idee steckt, gleich 17 Songs auf das Album zu packen. Damit ist die Platte ein gutes Stück zu lang – auch, weil die Qualität in der zweiten Hälfte deutlich nachlässt. Betonblock ist der erste Ausreißer nach unten. Sozialkritik mit Zeilen wie „Grüne Wiesen, rote Zahlen“ oder „Zu viel Nonsens / wenig Konsens“ ist leider arg plump und auch reichlich Vocoder kann nicht von der äußert beschränkten Poesie solcher Zeilen ablenken.

Jeden Tag wird nicht halb so clever und augenzwinkernd wie es gern wäre. PI (ich rechne mit allem) ist bloß krude. Ein Wort zeigt, dass Existenzialismus ihr nicht sonderlich gut steht.  Kreis ordnet sich irgendwo zwischen Powerpop, Editors-Bombast und dem Gastauftritt von Samy Deluxe ein – auch das ist kein guter Platz für Nena. In Bruder erzählt sie von ihrem verstorbenen Sohn Christopher, doch auch derlei Quasi-Gebete sollte sie lieber anderen überlassen. Allenfalls solide sind Magie (das klingt wie 2Raumwohnung by numbers, allerdings mit einigen sehr originellen Produktionstricks als Dreingabe) und Peter Pan, ein sanftes Duett mit ihrem Sohn Sakias.

Zwischendurch gibt es aber noch einen Höhepunkt, und der heißt Berufsjugendlich. „Bitte sei doch nicht so berufsjugendlich / die Leute nehmen das nicht ernst und es geht ihnen auf den Senkel / die Alte macht auf fit / dabei hat sie schon ein paar Enkel“, singt Nena darin und später dann „Die Leute nehmen das nicht ernst, und das ist nicht vernünftig / na klar kann man gut drauf sein, aber nicht mit 54.“ Das ist tanzbar und kraftvoll, es ist auch mutig, reflektiert und witzig. Und haut unmissverständlich die Botschaft raus: Wer Popstar ist (und zwar schon sein gesamtes Erwachsenenleben lang), der darf das.

Der Albumplayer zu Oldschool.

https://www.youtube.com/watch?v=yEhrynoxfDI&feature=youtu.be

Im März geht Nena auf Oldschool-Clubtour.

04.03. Berlin – SO 36

06.03. Luxemburg – Atelier Club

07.03. Hagen – Pelmke Kulturhaus

09.03. Braunschweig – Music Hall

10.03. Bremen – Modernes

11.03. Frankfurt – Batschkapp

13.03. Basel – Rhypark Club

14.03. Zürich – Kaufleuten Club

15.03. München – Technikum

17.03. Wolfhagen – Kulturstadthalle

18.03. Würzburg – Postbahnhof

20.03. Stuttgart – Wagenhallen

21.03. Erfurt – Stadtgarten

22.03. Wien – Arena Club

24.03. Hamburg – Mojo

Homepage von Nena.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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Ein Gedanke zu “Hingehört: Nena – „Oldschool“

  1. Vielen Dank für diesen ausführlichen Bericht über die neue Platte von NENA….Sie ist ja wirklich richtig gut geworden….
    Was ich nicht mit der Kritik hier teilen kann, ist, das behauptet wird, das im zweiten Teil die Qualität nachlässt….Kann ich gar nicht unterschreiben….Es gibt kein Song, bei dem es an Qualität fehlt….es sind einfach 17 unterschiedliche, starke Stücke….und abwechslungsreich….Warum sollte sie die Ballade „Bruder“ mit richtig tollem Gänsehautfieber anderen überlassen, wenn sie es erlebt hat…? , „Kreis“ ist total auf den Punkt getroffen….“Querdenker in Teufelskreisen beherrschen die Welt“ (Textzeile aus „Kreis“….das sind Worte, die klingen total neu und das ist gut so…Der Chor mit dem Publikum dabei und Samys Rap-Einlage machen den Song zum Ohrwurm….Ist er längst in Fankreisen…

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