Hingehört: Newmoon – „Space“

Künstler Newmoon

Newmoon Space Kritik Rezension
Nach einer EP legen Newmoon mit „Space“ ihr erstes Album vor.
Album Space
Label Pias
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

„I’m falling“, singt Newmoon-Frontmann Bert Cannaerts in Head Of Stone gleich mehrfach. Doch in dieser Beschreibung seines Sturzes steckt keine Angst, keine Überraschung, allenfalls Erkennen des eigenen Fallens, vielleicht sogar eine kleine Hoffnung auf Erlösung in dem Moment, in dem der Aufprall geschehen wird. Das passt  zur Idee, die er für das Debütalbum seiner Band hat: „Wir wollen, dass sich Menschen in Space verlieren und sich zugleich darin finden. Wir wollen, dass sie etwas Neues entdecken, etwas, von dem sie nicht wussten, dass es in ihnen steckt, so wie es bei uns passiert ist.“

Was er damit meint, ist eine ziemlich radikale stilistische Neuorientierung der fünf Musiker von Newmoon. Bert Cannaerts (Gesang/Gitarre), Giel Torfs (Gitarre/Gesang), Philippe Corthout (Gitarre), Robby Geybels (Bass) und Stef Gouwkens (Drums) kommen aus Antwerpen und Gent, einige von ihnen haben vorher in der Hardcore-Punkband Midnight Souls gespielt, bevor sie 2013 als Newmoon (der Bandname ist von einem Elliott-Smith-Album inspiriert) zusammenfanden. Was sie mit der neuen Band machen, ist nach eigenen Angaben musikalisch von The Jesus & Mary Chain, Slowdive, den Ramones, Oasis und Sunn o))) beeinflusst, textlich von Kurt Vonnegut, Haruki Murakami und John Steinbeck. Will man die Musik der Belgier in einem Wort beschreiben, ist der wohl am besten passende Begriff: Shoegaze.

„Wir sind mit einer Liebe zu Joy Division und The Cure aufgewachsen. Aber die Musik, die wir machten, war viel einfacher zu spielen, so dass wir nicht sicher waren, ob wir fähig waren, jene Musik zu reflektieren, die wir eigentlich liebten“, umschreibt Bert Cannaerts den Grund für die Abwendung vom Hardcore. „Mit Newmoon haben wir unseren Weg gesucht, wie wir uns in diesem Kontext einfügen. Wir entdecken nach wie vor Dinge. Alles fühlt sich neu an.“

In der Tat verweist etwa Life In The Sun auf eine Melancholie, die an The Cure erinnert, allerdings ohne das Versprechen einer Katharsis. In Skin gibt es schönen Harmoniegesang von Cannaerts mit Schlagzeugerin Stef Gouwkens. Dass es niemals genug Hall in einem Lied geben kann, scheint die Botschaft von Everything Is zu sein. Hi erweist sich als Instrumental, das 100 Sekunden lang Anlauf nimmt, um dann nirgendwo zu landen.

Dennoch ist der Einfluss der Hardcore-Vergangenheit auf Space zumindest zu erahnen. Das schon erwähnte Head Of Stone beginnt sehr wuchtig, wenn auch gedämpft. Auch One Thousand ist sehnsüchtig und verträumt, strahlt aber trotzdem viel Kraft aus. Ein Song wie Coma hätte mit einer tiefen Pathos-Stimme wie von Eddie Vedder oder Chris Cornell eine Grunge-Hymne werden können. In Liberate The World erinnern Stimme und Stimmung stark an Electric Soft Parade, auch wenn die Lieder von Newmoon nicht ganz so filigran sind wie deren Werke.

Für die Themen der Platte ist dieses Miteinander von Wucht und leisen Tönen eine treffende Entsprechung. „Konzeptionell basiert Space auf der Idee, alle menschlichen Regungen zu umfassen. Der Titel bezieht sich auf den Raum zwischen Menschen, sowohl im emotionalen als auch im wörtlichen Sinn. Raum kann einem die Luft nehmen und emotional aufzehren oder ein Ort sein, an dem man sich so fehl am Platz fühlt, dass einem jede Form der Flucht wie ein Glücksfall vorkommt“, erklärt Cannaerts.

Die Dynamik dieser Band wird nicht mit Glanz und Glitter präsentiert, sondern in Nebel gehüllt, um „emotional schwierige Erfahrungen greifbarer zu machen“, erläutert Bert Cannaerts. „Mir fällt es leichter, mich mit dem Raum zu beschäftigen, der zwischen den Menschen existiert und über jene Menschen zu singen, die ich verloren habe, oder über Beziehungen, die ein Ende gefunden haben. Abstraktionen können dabei hilfreich sein. Ich habe harte, düstere Zeiten durchgemacht, aber ich habe festgestellt, dass es nur wenige Male gibt, wo man den ganzen Prozess von Trauer bis zur Erlösung und einem aufbauenden Höhepunkt durchlebt – hoffentlich können wir das alles mit Space vermitteln.“ Helium ist vielleicht das Lied, das diesem Prinzip am nächsten kommt: Mollmusik, die sich am Ende dann doch der Euphorie nähert.

Das Video zu Helium ist nach dem falschen chemischen Element benannt: Es sollte eher Neon heißen.

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Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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