Hingehört: Nicki Minaj – „The Pinkprint“

Künstler Nicki Minaj

Die wichtigste Botschaft von Nicki Minaj lautet: Nimm mich!
Die wichtigste Botschaft von Nicki Minaj lautet: Nimm mich!
Album The Pinkprint
Label Republic Recordings
Erscheinungsjahr 2014
Bewertung

Ich habe es wirklich versucht, aber ich kann The Pinkprint nicht hören, ohne an eine Szene im Film 17 Again zu denken. Zac Efron spielt darin einen Enddreißiger, der durch einen Zauber im Körper eines 17-Jährigen landet und dann wieder zur High School geht. Die Mädels in seiner Klasse schmachten ihn an, auf die denkbar offensichtlichste Weise. Als drei der jungen Damen sich ihm besonders offensiv anbieten, muss er ihnen erklären, dass es schwer ist, sie zu respektieren (oder sich gar in sie zu verlieben), wenn sie sich nicht selbst respektieren. „Yeah, disrespect me!“, antwortet die erste auf diese Moralpredigt. „No, disrespect me!“, erwidert die zweite. „Please, disrespect meeeee!“, fleht Teenie-Schönheit #3.

Nicki Minaj ist vielleicht die Frau, die an solchen Szenen schuld ist. Und zwar, weil sie (optisch und ideologisch) genau das Frauenbild lebt, das im HipHop propagiert wird, und nicht merkt, wie unsexy das ist – und wie sehr sie sich und ihren Geschlechtsgenossinnen damit selbst ins Knie schießt.

Die New Yorkerin wird von ihrem Label nicht ganz zu unrecht als „Rap-Königin“ gepriesen. Sie hat (wenn man all die „featurings“ mitzählt) genauso viele Songs in den US-Charts gebracht wie Madonna. Ihr Debütalbum Pink Friday (2010) erreichte weltweit viermal Gold-, fünfmal Platin- und zweimal Doppelplatin-Status. 2012 war sie nach mehr als zehn Jahren die erste Frau, die es wieder an die Spitze der US-Rap-Charts schaffte. Aber wofür steht Nicki Minaj? Trotz all dieser Erfolge kennt man sie nicht für ihre Songs, sondern für ihren Arsch.

Das liegt nicht an einer feindlichen, sexistischen Männerwelt, die die 31-Jährige auf das hintere Ende ihres Körpers reduzieren würde. Sondern an Nicki Minaj selbst. Ihr Aussehen, insbesondere ihr Hintern, ist ihr wichtigstes Marketing-Instrument, und sie bedient sich dieser Methode ebenso freiwillig wie ausgiebig. Bevor sie überhaupt einen eigenen Song veröffentlichte, gab es schon ganze Zeitschriftenausgaben, die ihr knallbuntes Image als „Pink Barbie“ abfeierten. Auch auf dem Factsheet zu The Pinkprint, ihrem dritten Album, prangt ganz oben und unübersehbar ihr Arsch, ebenso auf dem Cover einer der drei Vorab-Singles.

Genau deshalb kann ich diese Platte nicht hören, ohne an 17 Again zu denken. Genau deshalb kann ich diese Platte auch nicht hören, ohne zu kotzen. Denn Nicki Minaj ist mit dieser Musik so etwas wie die Speerspitze dessen, was die US-Soziologin Trisha Rose “the demise of the spirit of hip hop” nennt. Die Professorin hat jahrelang zu schwarzer Kultur und HipHop geforscht und kommt zu einer betrüblichen These: HipHop war einmal ein Instrument der Kritik, des Denkens, der Autonomie und Selbstermächtigung, vor allem für Schwarze. Jetzt ist HipHop, vor allem in seiner kommerziellsten Ausprägung, ein Sprachrohr für Materialismus und Gewalt. Und zudem “the most blatant, celebrated brand of sexism against black women”.

Nicki Minaj scheint mit The Pinkprint den perfekten Beweis für diese These antreten zu wollen. Frauen sind in ihren Texten durchweg „bitches“ und „whores“, die einzige Bezeichnung für Männer heißt „Niggas“. Das ist natürlich üblich im Rap (deshalb muss es noch lange nicht sinnvoll sein), aber hier ist es so alternativlos, dass es nicht nur lächerlich wirkt, sondern auch vor Augen führt, wie unfreundlich und kalt die Welt ist, die mit solchen Begriffen propagiert wird. Alles ist Wettbewerb, Imponiergehabe, Drohgebärde. Man fragt sich: Darf Nicki Minaj auch mal nett sein? Raus aus dem Kampfmodus? Ihre Barbie-Outfits ablegen?

Die Frage ist vor allem deshalb wichtig, weil die 31-Jährige damit vorgeblich ihre Stärke und Unabhängigkeit inszeniert, aber eigentlich bloß die Parameter übernimmt, die Männer im Rap geprägt haben – und die darauf ausgerichtet sind, Frauen nicht ernst zu nehmen. „Hip Hop has become not just a highly sexualised place alone, which it has become, but a space where the exploitation of black women has become almost required for artists to develop an identity, to develop a sense of status. To be a powerful, desirable, successful black male image in hip hop, you almost have to exploit black women as part of your performance”, sagt Tricia Rose und ergänzt: “This is very troubling because black women are already coming out of an history of being sexually exploited. (…) Now in order to have a space in video culture, to be participants in the industry at large, they have to basically co-sign an exploitative conception of who they are in order to participate.”

Wie begierig sich Nicki Minaj auf The Pinkprint in diese freiwillige Erniedrigung stürzt, ist kaum zu fassen. In Get On Your Knees singt Ariana Grande den Refrain, Nicki Minaj rappt in der Strophe, und zwar tatsächlich über ihren Hintern. „If you wanna get the job, you better know who’s the boss”, lautet eine der Zeilen – besser könnte eine Einverständniserklärung mit klassischen Rollenbildern und sozialer Kälte kaum formuliert sein.

Die Ballade I Lied ist vorgeblich selbstbewusst, denn zum Lügen gehören Unabhängigkeit und Mut. Aber es dient bei ihr letztlich zur Unterordnung: „I lied to keep you from breaking my heart.“ Im nervtötenden Want Some More zählt Minaj ihre Erfolge auf – Anerkennung hat sie demnach vor allem verdient, weil sie immer wieder an der Seite der großen Männer im Geschäft aufgetaucht ist. Auch der Albumtitel, offensichtlich eine Anspielung auf The Blueprint von Jay-Z, passt in dieses Schema.

Vor allem die penetrante Selbst-Sexualisierung ist frustrierend – auch angesichts der Tatsache, dass Nicki Minaj offensichtlich um die Gefahren einer solchen Fixierung auf Sex weiß: “I feel like in the past females have kinda relied on that because they feel like that’s all they have to offer”, hatte sie 2011 in einem Interview mit den NME gesagt. Nun tappt sie genau in diese Falle.

„You know that I’m sexy / I hope that you’re ready / to come here and get it”, heißt es in Trini Dem Girls (mit einem Gastauftritt von Lunch Money). „I’m the big Kahuna, go let the boys know“, posaunt Mademoiselle Minaj, begleitet von Beyoncé, in Feeling Myself heraus. “Big titties, big butt, too”, lautet ihre Selbstbeschreibung in Only (mit Chris Brown, Lil Wayne und Drake). „I just wanna be your favorite“, biedert sie sich in Favorite (mit Jeremih) an. Und bloß noch albern ist Anaconda: “Oh my gosh, look at her butt”, lautet der Refrain, am Ende gibt es noch eine Widmung obendrein: „This is for my fat ass bitches in the club.“

Empörend daran ist die Erkenntnis: Wer sich so ausschließlich über Körper und Körperlichkeit definiert, hat offensichtlich sonst nichts zu bieten – und vermittelt die gefährliche Botschaft, dass der passende Körper, das nötige Maß an Aufdringlichkeit und die Bereitschaft, sich in der Welt nach den Regeln der Männer zu bewegen, für Frauen schon ausreichen, um glücklich, erfolgreich und bewundert zu werden.

Natürlich ist auch das ein gängiges Prinzip im HipHop, natürlich machte beispielsweise Beyoncé auf ihrem letzten Album auch nichts anderes, als ihr Bekenntnis zu Spaß am Sex als Emanzipation zu verkaufen. Aber erstens ist auf The Pinkprint so gut wie nirgends von Spaß am Sex die Rede. Die Botschaft von Nicki Minaj lautet nicht „Verwöhne mich, nach meinen Regeln!“, sondern „Nimm mich, nach deinen Regeln!“ Zweitens packte Beyoncé ihre feuchten Träume in spannende Sounds – bei Nicki Minaj gibt es fast nur Durchschnittsmusik.

Mal ertönt eine Gitarre wie in The Crying Game (mit Jessie Ware), mal gibt es ein wenig Dubstep, G-Funk oder dezente Elektronik. Vor allem aber gibt es viel Fließbandware oder Schlimmeres, vor allem in letzten Teil des Albums. Wenn in der kitschigen Klavierballade Grand Piano am Ende auch noch ein Geigensolo dazu kommt, muss man fast heulen (oder lachen), so ein großes Klischee ist das. Shanghai ist hohl und überflüssig, Win Again und Mona Lisa sind vollkommen öde und ziehen das ohnehin schon viel zu ereignisarme Album noch weiter unnötig in die Länge. Put You In A Room als letzter von 21 Tracks scheint es dann sogar auf den Titel als langweiligste Musik der Welt abgesehen zu haben.

Ein paar gelungene Momente gibt es natürlich auch, vor allem dann, wenn sich Nicki Minaj der Kategorie „Pop“ annähert. Buy A Heart (mit Meek Mill) ist halbwegs interessant. The Night Is Still Young ist im Prinzip ein lupenreiner Popsong und der erste wirklich gute Track auf diesem Album. Auch Pills N Potions gelingt, aber nur mit der Beteiligung von Nicki Minaj, nicht wegen ihrer Beteiligung. Die Single Bed Of Lies (mit Skylar Grey) ist der beste Track der Platte – hier liefert Minaj auch ihren besten Rap ab.

Zumindest aufhorchen lässt All Things Go als Auftakt, ein Song über Vergänglichkeit, auf das Leben bezogen (sie berichtet von einer Abtreibung als Teenager), auf Momente des Glücks, aber auch auf die Karriere. Es ist das einzige Stück auf The Pinkprint, in dem Nicki Minaj erkennen lässt, dass es oberhalb ihres Beckenbereichs vielleicht so etwas wie eine Persönlichkeit geben könnte.

Eine schöne Parodie von Anaconda. Mit Ärschen in der Hauptrolle:

Homepage von Nicki Minaj.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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