Künstler | Odd Couple | |
Album | Flügge | |
Label | Cargo | |
Erscheinungsjahr | 2016 | |
Bewertung |
Es ist wichtig, darauf noch einmal hinzuweisen. „Wir wollten die Herausforderung annehmen, einen modernen Sound mit analogen Mitteln zu produzieren. Schließlich wollen wir nichts weniger sein, als eine Retro-Band“, sagen Tammo Dehn und Jascha Kreft alias Odd Couple. Sie meinen damit die Tatsache, dass sie bei den Aufnahmen für ihr zweites Album keine Samples und keine Nachbearbeitung eingesetzt haben, sondern alles live eingespielt, teilweise bei Songs, die erst während der Sessions entstanden sind.
Der Retro-Etikett wollte mancher den beiden Kindergartenfreunden aus Ostfriesland, die seit sechs Jahren in Berlin leben und auch bei Suns of Thyme gemeinsam musizieren, anheften. Das galt 2014 beim Debüt It’s A Pressure To Meet You und seiner Liebe zum Garagenrock. Das wird auch nun bei Flügge wieder vorkommen. Denn Odd Couple bieten oft genug etwas, das wie die Quintessenz von Rockmusik klingt – zumindest, wenn man „Rockmusik“ mit einem Sinn für Fantasie begreift.
Haste Strom Haste Licht lässt als Auftakt gleich an die größten lebenden Riff-Monster denken (etwa The Hives, Kraftklub, die White Stripes). Nach diesen 2:39 Minuten mit maximaler Entschlossenheit ist es gar nicht mehr so abwegig, dass es in diesem Lied womöglich tatsächlich um Energieversorgung geht. Einen Song wie Serve könnte man sich problemlos von den Doors vorstellen. Gone Solid verweist Richtung Stoner Rock (also Richtung einer Wüste im Weltall) und zeigt: Es gibt eine Geistesverwandtschaft zwischen Ostfriesland und Texas.
Am I Evil passt auf die Bühne im Titty Twister ebenso wie ins Autoradio von Hunter S. Thompson. Die Antwort auf die im Songtitel gestellte Frage kann nur lauten: Aber hallo! Tubes & Wires ist gefährlich, fremd und faszinierend wie ein Viech aus der Urzeit. Mon Coeur wirkt zunächst stoisch, bis man merkt, dass dem Track auch eine große Nervosität innewohnt, am Ende sogar etwas, das man Leidenschaft nennen muss.
Freilich meint „Quintessenz“ keineswegs, dass sich Odd Couple bloß auf naheliegende oder gar tausendfach bewährte Zutaten verlassen. Im Gegenteil: Flügge ist ein sehr aktuelles Album. Das gilt einerseits in emotionaler Hinsicht. „Flügge fühlt sich an wie unser erstes richtiges Album“, betont Jascha Kreft, „das sind wir, im Hier und Jetzt.“ Das kommt etwa in den Texten zum Ausdruck, die mal englisch und mal deutsch sind, aber immer den eigenen Blick auf die Welt, mehr noch den Blick aufs Selbst wählen. „Wir haben uns bewusst für die Introspektive entschieden“, erzählt Tammo. „Es hat sich in den vergangenen Jahren einiges in uns entwickelt, das nun raus musste.“
Andererseits merkt man der Platte auch an, jedenfalls beim mehr als flüchtigen Hören, wie zeitgemäß auch ihr Sound ist. Wenn es so ein Wort gibt, dann ist ein Lied wie Go Sees eindeutig „sexyperimentell“. Très Mello liefert einen faszinierenden Zeitlupen-Rap. Gedächtnismann bietet ein Effekt-befeuertes Pseudo-Asien-Riff, für das Kula Shaker getötet hätten, und zeigt zugleich, dass eine Genre-Verortung bei Odd Couple ebenso ins Leere läuft wie die Frage, ob diese Musik nun besonders deutsch oder hierzulande noch nie dagewesen ist: In welcher Sprache Jascha Kreft da singt? Das ist irrelevant, weil die Musik ihre eigene Geografie und Kultur entwirft.
Der Album-Schlusspunkt OK wirkt wie in Trance, wenn da nicht dieses übereifrige Ride-Becken wäre. Been Solid erweist sich als ein Stelldichein von reichlich alten Synthesizern (insgesamt spielen die beiden auf Flügge 13 verschiedene Instrumente). Orbit Traveller bewegt sich Richtung Psychedelic, mit Orgel, verzerrtem Bass und einer Stimme, die seit Jahren nicht mehr nüchtern gewesen zu sein scheint. Die Strophenstimme hat dabei eindeutig Kippen und Bier gefrönt, die Refrainstimme scheint eher LSD und Heroin zugeneigt gewesen zu sein.
Der großartige Titelsong Flügge erzählt von einer Reise nach Kalifornien und hinterfragt zugleich die Fähigkeit junger Menschen, einen individuellen Blick auf die Welt zu entwickeln oder gar ein eigenes Modell für die Zukunft. „Unsere Altersgruppe lebt ihre Selbstfindung auf den Taschen der Eltern aus, die das ironischerweise durch den Lebensstil ermöglichen, den man heute ablehnt – einen normalen Job mit Bausparvertrag“, hat Tammo Dehn treffend erkannt. „Diese Haltung wollen wir kritisch hinterfragen.“ Entsprechend scharfzüngig ist der Text: „Es war schön, Mami! / Ich glaub’, ich hab’s verstanden.“ Das wird jeder lieben, der ein bisschen Spaß am Wahnsinn à la Pixies hat.
Auch Gehirnkasten ist ein veritabler Trip. „Weißt du, ich hab’ einfach keine guten Ideen mehr. Ich bin einfach nur so jemand, der funktioniert, irgendwie“, spricht Jascha Kreft darin. Kein Wort davon stimmt, nicht einmal das „Ich“, auch nicht das „einfach“ – und schon gar nicht die Sache mit dem Mangel an guten Ideen.