Künstler | Otherkin | |
Album | OK | |
Label | Rubyworks | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Man mag das kaum glauben. Die erste musikalische Liebe von Luke Reilly, dem Frontmann von Otherkin, war HipHop. Auf der morgen erscheinenden ersten LP der Band aus Dublin spielt er auf diese Sozialisation zwar beispielsweise noch im Text von `89 an. Ansonsten kennen er und seine Mitstreiter Rob Summons (Schlagzeug), David Anthony (Bass) und Conor Wynne (Gitarre) aber in ihrem musikalischen Alphabet offensichtlich nur neun Buchstaben: Rock’N’Roll.
OK klingt, als habe es nie eine andere Musik als Gitarrenmusik gegeben, und als sei auch deren Entwicklung ungefähr 1978 stehengeblieben. Ist das eine schlimme Sache? Auf keinen Fall! Ein Track wie Feel It beweist das: Der Song hätte zu den Kinks gepasst, ebenso wie Jahrzehnte später zu Guns’N’Roses (in deren Vorprogramm Otherkin demnächst spielen werden, nachdem sie kürzlich bereits für die Red Hot Chili Peppers und Fall Out Boy in dieser Funktion aktiv waren) oder noch mal eine Generation später zu Jet, den Black Keys oder The Enemy. Dieser Sound ist immergrün, wenn man ihn mit so viel Überzeugung spielt wie Otherkin.
Und an Entschlossenheit mangelt es dem Quartett in keiner Weise. „Manche Leute schaffen es, ein Debüt hinzulegen, über das 20 Jahre später noch geredet wird. So eine Platte, die die Leute einfach umhaut, streben wir an“, hatte mir Bassist David Anthony schon im Sommer 2016 beim Interview in Berlin als Maßgabe für das Album benannt, an dem die Band damals gerade arbeitete. Gitarrist Conor Wynne betont nun zur Veröffentlichung, das Ziel von Otherkin sei „to write simple songs, but great songs, with aggression and passion. That’s what we’re all about. We just want to play stuff that’s going to invigorate ourselves. We know if it makes us feel like that, it’s gonna make other people feel like that. If there’s one thing we do right, it’s that we put it all out there.“
Man kann ihm angesichts von OK nur beipflichten. Die Ästhetik beispielsweise von Ay Ay ist aus dem Rock-Lexikon, aber die Wut und die Leidenschaft (Luke Reilly hat den Albumtitel bereits als Tattoo auf seinem Handgelenk, wie das Plattencover zeigt) sind echt und jung. Yeah, I Know, das schon auf der EP The New Vice zu hören war, ist so etwas wie Stoner Rock mit dem Willen zur Euphorie, Bad Advice hat deutliche Punk-DNA und sehr viel Energie. Die Debütsingle I Was Born klingt auch hier wie ein ultimativ hedonistisches Credo.
„There’s so much depressing shit happening every day – I think people kind of need a break from it“, hat Luke Reilly erkannt. „Psychologically, you need some sort of escapism, which is classically what rock’n’roll has always been. There’s nothing more carthatic than going to see a live band and feeling as though you’re part of the moment“, sagt er. Die Energie ihrer Shows auch für OK einzufangen, ist bestens gelungen. Ein Song wie Enabler zeigt mit seinem schweren Bass ein typisches Stilmittel, Come On, Hello ist eines von mehreren Stücken, die sehr klassisch und trotzdem sehr abwechslungsreich und frisch klingen.
Viele Songs auf diesem Album sind cleverer als sie erscheinen, und dass Otherkin auch ein Faible für das Komplexe und Ambitionierte haben (die ersten Gehversuche der Band seien „Rock operas, literally“ gewesen, sagt Luke Reilly), zeigen beispielsweise der Schlusspunkt So So und Razorhead, ein Lied über Obdachlose und Junkies in ihrer Heimatstadt, das allerdings als einziger Track des Albums etwas mehr Finesse hätte gebrauchen können.
In elf von zwölf Fällen gibt es hingegen Volltreffer wie den Auftakt Treat Me So Bad, einen „acerbic take on betrayal, and being fucked over by somebody“, wie Luke Reilly das Thema umreißt. Feedback eröffnet den Song, eine Bass Drum treibt ihn voran, die ersten Worte lauten dann „Let’s go“ – aber nicht als wilder Kampfschrei, sondern sehr gelassen vorgetragen. Von da an nehmen Otherkin mächtig Fahrt auf, und kurz vor dem Ende ist der Song so feurig und ungeduldig, dass Reilly hörbar durchschnaufen muss, nachdem er ein letztes Mal die Frage „Why did you treat me so bad?“ herausgeschrien hat, in der nicht Selbstmitleid steckt, sondern Stolz.
Das vielleicht markanteste Stück dieses Debütalbums ist React, denn auch hier zeigt sich wunderbar, was Otherkin ausmacht: Der Song könnte problemlos als Prototyp durchgehen, aber er lässt dank ganz viel Neugier, Lust und Gier zugleich keinen Grund erkennen, warum nicht auch (oder gerade) dieses Lied einem beliebigen 13-Jährigen die lebenslange Liebe zu Rock’N’Roll ins Herz pflanzen sollte.
Wie oft und gerne Otherkin live spielen, zeigt das Video zu Come On, Hello.
Im Herbst sind Otherkin wieder auf Tour in Deutschland.
02.11.17 – MTC (Köln)
07.11.17 – Molotow (Hamburg)
08.11.17 – Musik&Frieden (Berlin)
23.11.17 – Kranhalle (München)