Hingehört: Petula Clark – „From Now On“

Künstler Petula Clark

From Now On Petula Clark Rezension Kritik
Mehr als 60 Jahre nach ihrem ersten Hit hat Petula Clark noch immer Lust auf Innovation.
Album From Now On
Label BMG
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

Ein Künstler, der daran interessiert ist, sich weiter zu entwickeln, neue Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, seiner Kreativität keine Grenzen setzen zu lassen – eigentlich sollte das ganz normal sein. Aber natürlich wissen wir, auf wie viele Acts diese Attribute nicht zutreffen. Und wenn wir dann von einer Sängerin sprechen, die im November stolze 84 Jahre alt wird, dann ist dieses Selbstverständnis dann doch alles andere als selbstverständlich.

Besagte Künstlerin ist Petula Clark, die in ihrer langen Karriere unter anderem mit drei Grammies ausgezeichnet wurde und weltweit unfassbare 159 Hits in den Top40 gebracht hat. Was mit „lang“ gemeint ist, verdeutlichen ein paar Zeilen: 1942 war sie zum ersten Mal im Radio zu hören, 1954 landete sie ihren ersten Hit mit The Little Shoemaker, noch einmal elf Jahre später veröffentlichte sie Downtown, ihren vielleicht bekanntesten Song, und arbeitete fortan mit Größen wie John Lennon, Michael Jackson, Serge Gainsbourg, Jacques Brel, Tom Jones und Dean Martin zusammen.

„An dem Punkt, an dem Du sagst: ‚Ich weiß, wie das geht’, ist es Zeit, sich an die nächste Sache zu machen. Ich lerne immer weiter, das hört nie auf“, sagt Petula Clark nun. „Neue Songs sind immer so etwas wie eine Liebesaffäre. Die neuen Songs sind immer meine Lieblinge, denn sie sind ja immer noch ein wenig unbekannt. Ich singe die alten Stücke natürlich immer noch gerne, aber das habe ich halt schon oft gemacht. Neues ist mir wichtig. Sich weiter bewegen ist mir wichtig.“

Vielleicht ist es dieser stete Wille, sich weiterzuentwickeln und neue Bereiche für sich auszuprobieren, der erklärt, warum sie trotz all ihrer jahrzehntelangen Erfolge nichts entwickelt hat, was einem unverwechselbaren Profil gleich käme. „Was manche Menschen verwirrt, ist, dass sie nicht so recht wissen, wer ich in Anbetracht all der unterschiedlichen Sachen, die ich gemacht habe, gewesen bin, aber sie wissen auch nicht, wer ich jetzt bin“, hat Petula Clark richtig erkannt.

Es ist ein Problem, das auch das gerade erschienene From Now On, Nachfolger von Lost In You (2013), begleitet. Es gibt Coverversionen, auf die Petula Clark offensichtlich einfach Lust hatte, wie Blackbird, das in seiner akustischen Hübschheit perfekt auf das Coverversionen-Album von Natalie Imbruglia gepasst hätte, oder Fever, das sie leider ohne Biss interpretiert, oder While You See A Chance (im Original ein Hit für Steve Winwood im Jahr 1980), das nach Angaben der Sängerin ganz spontan bei der Arbeit im Studio mit Produzent John Owen Williams (bekannt für seine Arbeit mit den Housemartins und Proclaimers) entstand. Es gibt Lieder, die sie als Grand Dame kennzeichnen wie Pour Être Aimée De Toi, eine Zusammenarbeit mit Charles Aznavour, dessen Text sie hier vertont hat: „Es ist ein düsterer Song, ein Lied der Verzweiflung, gleichzeitig wunderschön. Und ich kann mich darin sehr gut wiederfinden.“

Vor allem aber gibt es auf From Now On viele Lieder wie A Miracle To Me, das Petula Clark in den französischen Bergen geschrieben hat: Es ist eine schöne Schnulze fürs Erwachsenenradio oder das Rentner-Kaffeekränzchen. Never Let Go wäre auf jedem Roxette-Album seit dem Jahr 1986 gut aufgehoben gewesen. Sincerely löst erst den Gedanken „Oha, ein Beat!“ aus und dann den Gedanken, dass Madonna wohl so klänge, wenn sie sich endlich von der Idee verabschieden würde, sie könne Trends sezen, indem sie Trends hinterher hechelt. In Sacrifice My Heart singt Petula Clark mit sich selbst im Chor: “Die Persönlichkeit der eigenen Stimme herauszuarbeiten, ist wichtig, insbesondere weil ich nicht von Natur au seine Sängerin bin wie die Piaf. Ich bin, wie ich bin. Ich bin anders“, sagt sie. Der Track könnte von einer der letzten Platten von Kylie Minogue stammen: ein bisschen harmlos, ein bisschen modern, ein bisschen anämisch.

In zweierlei Hinsicht lässt From Now On trotzdem aufhorchen. Erstens ist da die Stimme von Petula Clark, die hier so unfassbar jung klingt, dass man beinahe an eine neue Wissenschaft namens akustische Chirurgie glauben muss. In Liedern wie Happiness kommt das besonders gut zur Geltung, denn da hört man, wie wichtig ihr dieses Lied ist. Auch in Endgame ist dieser Effekt zu beobachten, der Song profitiert von der Perspektive der erfahrenen Frau, weil man weiß, wie hoch die Anzahl wohl ist, die hinter dem hier besungenen „Every time I see you / every time I hold you / every time I say your name“ steckt.

Zweitens kann man das Bekenntnis zur Innovation und die Verweigerung von Nostalgie („Die Welt hat sich verändert und es ist nur natürlich, dass sich die Musik und die Art, wie sie gemacht wird, ebenfalls verändern muss. Wenn Leute sagen: ‚Solche Songs werden heutzutage nicht mehr geschrieben!’ – nunja, es ist auch vor Jahren viel Mist geschrieben worden.“, sagt sie) einigen Stücken wirklich anhören. Der Titelsong mit seinem interessanten Arrangement ist das beste Beispiel dafür.

Das ist alles sehr achtbar, aber auch beliebig. Die Frage, für wen – außer sich selbst – Petula Clark im Jahr 2016 noch Musik macht, stellt sich schon, bevor man From Now On gehört hat. Und sie ist leider auch danach nicht beantwortet.

Altes Haus: das Video zu Sacrifice My Heart.

https://www.youtube.com/watch?v=07Pz_FLvQXI

Website von Petula Clark.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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