Künstler | PWR BTTM | |
Album | Pageant | |
Label | Big Scary Monsters | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Drei Zutaten, die man im Punkrock nicht allzu häufig findet: Glam, Humor und Bandmitglieder, die sich durchweg als queer, non-binary und/oder transfeminin bezeichnen.
Was klingt, wie eine an den Haaren herbeigezogene Fantasie aller Dinge, die im weitgehend spartanischen, bierernsten und männlichen Genre maximal unwahrscheinlich erscheinen, ist in Wirklichkeit das Profil von PWR BTTM aus New York. Ben Hopkins und Liv Bruce (zu beiden soll man statt „er“ lieber „sier“ sagen, wünschen sie sich) spielen seit 2013 zusammen und haben gestern mit Pageant ihr zweites Album veröffentlicht. Nicht nur die Geschlechterrollen sind hier dynamisch, auch die Instrumente werden bei PWR BTTM fleißig getauscht, obwohl Ben Hopkins’ angestammtes Gebiet Gitarre und Gesang sind, während Liv Bruce ursprünglich Schlagzeug spielt.
Wie spaßig das sein kann, zeigte schon das 2015er Debütalbum Ugly Cherries und die Tatsache, dass das danach veröffentlichte Projection vom Rolling Stone auf Platz 6 der besten 50 Songs des vergangenen Jahres gewählt wurde. Auch Pageant profitiert enorm davon, mit welcher Leichtigkeit das Duo mit sehr persönlichen Themen wie Homophobie, Dysmorphophobie oder dem guten alten Liebeskummer umgeht.
Die wunderbare Single Answer My Text beweist das: Es geht um die Frage, wie man bei einem Flirt an die Telefonnummer des Objekts der Begierde kommt, wann man dann eine SMS schreiben sollte, wie viele Emojis man hineinpacken darf und vor allem, wie zügig man eine Antwort erhoffen kann. „Answer my text, you dick“, heißt der Refrain, der wunderbar das Hoffen und Bangen, den Mix aus Ungeduld und Unschuld in dieser Situation einfängt. Die Melodie dazu lässt an frühe Fountains Of Wayne denken, sogar Wheatus’ Teenage Dirtbag erscheint hier als Bezugspunkt nicht verfehlt.
Referenzen in der Nähe zu Comedy finden sich bei PWR BTTM auch in anderen Songs. Die Gitarre am Beginn von Won’t erinnert an Peaches von den Presidents Of The United States Of America. New Trick könnte Weezer sein in seiner vermeintlichen Simplizität, seiner Freude am Lärm und seinem Nerd-Charme. Der Auftakt Silly wirkt manchmal wie eine Hair-Metal-Persiflage, wenn die Gitarre ein bisschen auf Van Halen macht und auch der Rest bei aller DIY-Limitierung erkennbar Lust auf Spektakel hat.
Die Single Big Beautiful Day kommt im Sound, vor allem aber in der Mentalität dem klassischen Verständnis von „Punk“ am nächsten. Ansonsten herrscht auf dem Album, das von Christopher Daly und Cameron West produziert und weitgehend in einer ehemaligen Möbelfabrik aufgenommen wurde, maximale stilistische Freiheit.
Ein Stück wie Wash lässt sich unmöglich einem Genre zuordnen – außer allen, in denen es um schwierige Gefühle geht. Oh Boy berichtet sehr stimmungsvoll von Schmerz, der zu Wut wird, auch in LOL (mit der These: „When you are queer / you are always 19“) zeigen sich PWR BTTM zugleich verletzlich und brachial. Styrofoam nimmt den Kampf mit dem eigenen Körper in den Blick, Kid’s Table berichtet von der Begebenheit, ein Selfie mit Gott gemacht zu haben und der anschließenden Erkenntnis: Die da oben haben es auch nicht leicht.
Dass Pageant dabei nicht albern wird, liegt an der Zerrissenheit, die viele der Songs unter der Oberfläche von Klamauk und Party offenbaren. In Now, Now singt Ben Hopkins von der Sehnsucht danach, sich selbst zu bestrafen, trotzdem ist der Song sehr ausgelassen. Im Titelsong bloß von einem „Unwohlsein“ bei der Betrachtung des eigenen Körpers zu sprechen, wäre schamlos untertrieben. „Selbsthass“ ist der einzig treffende Begriff dafür – ausgerechnet zu einem Refrain, der eine geradezu niedliche Melodie hat.
Sissy führt am deutlichsten zur Debatte, die dieses Album schon kurz vor der Veröffentlichung schnell überschattet hat: Der Song bietet etwas Reggae und etwas Noise, er zeigt queeres Selbstbewusstsein und die Fähigkeit zur Selbstironie, aber auch, wie sehr Diskriminierung und Verhöhnung schmerzen können. Das nicht verbiesterte, sondern gutgelaunte Plädoyer für die jeweils eigene Gender-Definition, das die gesamte Karriere von PWR BTTM geprägt hat, lässt sich darin geradezu exemplarisch erkennen. Allerdings hat dieses Image jüngst arge Kratzer bekommen: Auf diversen Online-Plattformen wurden Ben Hopkins sexuelle Belästigung und mehrfache Übergriffe vorgeworfen, die Plattenfirma hat die Band daraufhin gefeuert, auch etliche Konzerte wurden abgesagt.
Die Band bestreitet die Vorwürfe. Sollten sie sich als wahr erweisen, dürfte sich die Karriere von PWR BTTM sehr schnell erledigt haben. Selbst, wenn es Gerüchte bleiben, dürfte das ein gewaltiger Dämpfer für das Duo sein. Denn zu Spaß und Leichtigkeit wollen solche Anschuldigungen nun einmal nicht passen. Zum Einsatz für sexuelle Selbstbestimmung schon gar nicht.