Hingehört: Robin Thicke – „Blurred Lines“

Handwerk und Hormone sind die beiden Säulen, auf denen "Blurred Lines" steht.
Handwerk und Hormone sind die beiden Säulen, auf denen „Blurred Lines“ steht.
Künstler Robin Thicke
Album Blurred Lines
Label Universal
Erscheinungsjahr 2013
Bewertung

Wahrscheinlich ist Prince schuld. Hätte er damals im Wettstreit mit Michael Jackson nicht einfach die Flinte ins Korn geworfen und sich bloß noch mit dem Entwerfen von seltsamen Symbolen und seinem Harem aus Tänzerinnen beschäftigt, dann wäre wohl nicht der Zustand eingetreten, den wir jetzt haben: Während quasi jeder weibliche Popstar der Welt per se wie eine promiskuitive, immer im Anmach-Modus auftretende, knapp bekleidete Nymphomanin daherkommen muss, wirken unsere männlichen Popstars (jenseits von HipHop) quasi wie Eunuchen. Robbie Williams? Ist jetzt ein braver Ehemann. Justin Timberlake? Ist so sauber wie der Disney-Club. Justin Bieber? Darf in einigen US-Bundesstaaten noch nicht einmal legal Sex haben.

Man könnte also dankbar sein für einen Popstar wie Robin Thicke. Endlich kommt wieder ein Sänger daher, bei dem man sagen muss: „Väter, sperrt eure Töchter ein! (Und eure Frauen am besten gleich mit.) Robin Thicke ist in der Stadt! Und er hat nur das eine im Sinn!“

Dass Robin Thicke ein Popstar ist, dürfte spätestens seit der Single Blurres Lines (mit T.I. und Pharrell Williams) niemand mehr bezweifeln. Platz 1 der Charts in Deutschland samt Platinstatus, Platz 1 der iTunes-Charts in 64 weiteren Ländern, weltweit bisher 3,5 Millionen verkaufte Exemplare. Dass eine Warnung vor der Fleischeslust dieses Popstars durchaus angebracht ist, daran lässt das gleichnamige sechste Album von Robin Thicke keinen Zweifel. Gleich der famos groovige Titelsong ist eine sagenhaft unverfrorene Anmache, die noch ein bisschen unverschämter wird, weil der Refrain klar stellt, dass hier ein „good girl“ becirct und auf Abwege geführt werden soll. Später wandelt Thicke auf den Spuren von Lionel Ritchie (Ain’t No Hat For That) oder lässt in Give It 2 U im verführerischsten Falsett keinen Zweifel daran, was mit „It“ gemeint sein könnte.

Die wichtigste Aussage von Blurred Lines lautet in der Tat: Robin Thicke hat Sex, und zwar oft und gerne. Und er singt darüber, was aus ihm so etwas wie die männliche Rihanna macht. „Sein Genre kennt keine Ironie, sondern nur ewige Liebe, Unzucht und Wellness-Utensilien. Thickes Songs sind deshalb vollgestellt mit Kerzen, Champagnerkühlern und Massageöl-Kanistern. In seiner Wanne ist das Wasser stets heiß, auf der Oberfläche türmt sich erwartungsvoll der Schaum. Thicke ist sozusagen allzeit bereit“, hat die Welt dazu sehr treffend geschrieben.

Freilich hat dieses Konzept seine Tücken. Erstens ist es eindimensional. Zweitens ist es nur bedingt glaubwürdig bei einem 36-Jährigen, der bisher eher auf Hausfrauenschmusesoul gesetzt hatte als auf hormongetriebenen Dancepop, zu dem man dann auch wirklich die Hüften und meinetwegen auch sämtliche andere Körperteile schwingen kann. Drittens kommt man mit solchen Themen (und erst recht, wenn man in Give It 2 U tatsächlich Zeilen wie „Ich habe hier einen großen Schwanz für dich“ einbaut) leicht als hohler Chauvinist rüber, wenn man seine Songs nicht wenigstens mit einem Minimum an Esprit versehen kann.

Erfreulicherweise schafft Thicke das meist. Da zahlt sich das handwerkliche Können aus, das der Mann aus Los Angeles schon als Songwriter für Michael Jackson, Mary J. Blige, Pink, Usher oder Christina Aguilera und als Produzent (für seine Beteiligung an Ushers Album Confession wurde er in dieser Funktion sogar mit Grammy geehrt) unter Beweis gestellt hat. Ooo La La wird extrem funky und zeigt, wie Justin Timberlake heute klingen könnte, wenn er noch Popsongs statt Mini-Oper-HipHop-Collagen machen würde, Get In My Way klingt wie Jamiroquai ohne den ganzen Hippiemist, Top Of The World entwickelt ein toll federndes Westcoast-Feeling.

Dazu kommt eine beeindruckende stilistische Bandbreite. Take It Easy On Me ist nicht weit weg von den Chemical Brothers, Give It 2 U baut ein paar Dubstep-Elemente (und einen Gastauftritt von Kendrick Lamar) ein, 4 The Rest Of My Life wird eine klassische Ballade. Am Ende steht das putzige The Good Life, mit den braven Zeilen “The good life / I know I made it, the good life / I know I’ve made it with you” und der erstaunlichen Erkenntnis: Vielleicht ist Robin Thicke doch ein Romantiker. Oder einfach ein guter Heuchler.

Die Sache mit dem Hüfteschwingen beherrscht Robin Thicke wohl eher in der Theorie, wie diese Performance von Blurred Lines vermuten lässt:

httpv://www.youtube.com/watch?v=oTk5l3wO2UE

Homepage von Robin Thicke.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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