Roxette – „Good Karma“

Künstler Roxette

Roxette Good Karma Kritik Rezension
„Good Karma“ ist das zehnte Studioalbum von Roxette.
Album Good Karma
Label Warner
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

„Die wirkliche Herzensmusik eines Menschen hatte eine Funktion innerhalb der Biographie, es zählt nur, wann, wobei und durch wen man diese Musik lieben gelernt hat, und diese Musik, die ist es dann und wird es für immer sein“, hat Benjamin von Stuckrad-Barre jüngst sehr treffend festgestellt. „Erst durch das Echo der eigenen Biographie kann sie individuell bedeutend werden.“

Das heißt wohl: Man sucht sich so eine Lieblingsband nicht komplett selbst aus. Man wird einfach von ihr erwischt, im genau richtigen Moment. Und dann kommt man nie mehr los. Dieser Moment war für mich The Look, und diese Band war Roxette. Ich war noch ein sehr junger Mensch damals, ein Kind. Aber Per Gessle und Marie Fredriksson erwiesen sich als das vielleicht perfekte Beispiel für Stuckrad-Barres These. Denn dass die Songs der Schweden wirklich so großartig waren wie ich sie empfand, dass sie jenseits dieser persönlichen Verbundenheit bedeutend wären, wollte in den 30 Jahren ihres Bestehens eigentlich niemand anerkennen. Als sie international erfolgreich wurden, waren Roxette als Plagiatoren verschrien, später als oberflächliche Teenagermucke, noch später als ewiggestrige Überlebende der Neunziger.

Ich habe das auch am eigenen Leib erfahren dürfen. Ich kann mich an keine Phase meines Lebens erinnern, in der diese Lieblingsband cool war, in der man sich nicht schämen musste, weil man Roxette mochte. „Ich dachte wirklich, du hättest einen besseren Geschmack“, hat mir einst mein Englisch-Lehrer gesagt, als ich mit einer Schulfreundin über Joyride fachsimpelte (heute vermute ich: Er meinte vielleicht das Mädchen). Jahre später bekam ich ein entsetztes „Du hörst Roxette?“ zu hören, von einem anderen Mädchen, das sich gerade eine Slime-Kassette von mir ausleihen wollte (die ich natürlich nicht hatte). Sie glaubte wohl, ich hätte Punk zu bieten, weil meine Schülerband so gerne Green Day coverte. Aber solchen Krawall machte ich natürlich nur mit, weil ich wusste, dass es selbstmörderisch wäre, einen Song von Roxette auch nur in die Nähe unseres Repertoires kommen zu lassen – auch wenn es natürlich ihre Lieder waren, zu denen ich das Gitarrespielen gelernt hatte.

Trotzdem habe ich ihnen die Treue gehalten. Das wurde einerseits einfacher (irgendwann gehörten Roxette einfach dazu für Menschen, die ungefähr in meiner Generation aufgewachsen sind, sie wurden eher akzeptiert als belächelt), andererseits schwieriger (die Zahl der wirklich guten Lieder pro Album sank eigentlich schon seit Room Service im Jahr 2001 beträchtlich). Aber immer, bei jeder neuen Platte, konnte ich erkennen, was mich einst zum Fan gemacht hatte: eingängige Melodien, manchmal ein Wortwitz, gerne ein paar Anspielungen auf die Musikhistorie, nicht zuletzt die Überzeugung, dass Pop auch Bubblegum sein darf.

Bis jetzt. Good Karma heißt des zehnte Studioalbum von Roxette. Vielleicht wird es – nachdem Marie Fredriksson krankheitsbedingt zuletzt die geplante Sommertour absagen musste – auch das letzte sein, deutet Per Gessle an: „Es sind erst einmal keine Tourneen in Sicht, und auch keine Plattenaufnahmen. Wir machen die Band nicht dicht. Wir werden sehen was passiert. Aber es hängt alles von Marie ab.“ Auch wenn man unter diesen Vorzeichen besonders großmütig sein sollte, will mir diese Platte einfach nicht gefallen. So sehr ich mich auch bemühe. Weil sie nicht nach Roxette klingt.

Das ist sogar Absicht. Für Charm School (2011) hatte Songwriter Per Gessle viele schon längst fertige Lieder genutzt, Travelling (2012) entstand zum großen Teil auf Tournee. Jetzt konnte er wieder den Arbeitsmodus nutzen, den er normalerweise für Roxette bevorzugt – und nahm sich vor, ein wenig zu experimentieren. „Nach so vielen Jahren als Band muss man sich natürlich fragen: Warum sollte man überhaupt noch eine neue Platte machen? Deshalb habe ich beschlossen, mich ein wenig mehr als sonst herauszufordern. Ich wollte mit neuen Leuten zusammenarbeiten“, erklärt er. Etliche potenzielle Kollaborationen wurden zwar wieder verworfen, mit dem Produzententeam Addeboy vs. Cliff klickte es aber.

An drei der elf Stücke auf Good Karma haben die neuen Partner mitgearbeitet, die sich vor allem mit Hits für den schwedischen Rapper Adam Tensta einen Namen gemacht hatten. „Sie haben einen ganz anderen Stil als ich. Aber wir haben uns sehr gut verstanden und sie haben mir jede Menge Loops. Bassspuren und Akkordfolgen geschickt. Meine Aufgabe war es dann, das zusammenzupuzzeln, ein paar Sachen zu verändern und vor allem Melodien und Texte dafür zu schreiben. So wurden daraus dann Roxette-Lieder“, beschreibt Gessle die Zusammenarbeit.

Unzweifelhaft steckt dahinter der Gedanke, mit der Zeit zu gehen. Das ist kein neues Phänomen bei Roxette: Als die Unplugged-Welle auf ihrem Höhepunkt war, nahmen sie (neben einem eigenen Unplugged-Auftritt) spontane, akustische Songs in Hotelzimmern auf. Als Grunge angesagt war, kamen sie plötzlich in ranzigen Outfits daher wie im Video zu Sleeping In My Car. Als Techno sich durchgesetzt hatte, gab es Rave-Hymnen wie Stars von ihnen zu hören. Das ist nicht verwerflich für eine Pop-Band, erst recht nicht für ein Mastermind wie Per Gessle, der sich immer ebenso sehr als Geschäftsmann wie als Künstler betrachtet hat. Auch diesmal geht es darum, Trends aufzugreifen. „Ich wollte die klassischen, vertrauten Roxette-Markenzeichen erhalten, die einfach in unserer DNA sind und die ich beim Komponieren ohnehin nicht ablegen kann. Zugleich sollte die Platte aber aktuell klingen. Sie ist für heute gemacht, nicht für 1989!“, erklärt Per Gessle seinen Ansatz für Good Karma.

Der Unterschied zu früher ist allerdings: Den Songs ist die Qualität abhanden gekommen, oft sogar die Identität. Es war immer eine Stärke dieser Lieder, dass sie als Komposition funktionierten, die man notfalls nur mit Klavier oder Gitarre spielen konnte. Das hat dazu beigetragen, dass Songs wie Listen To Your Heart noch knapp 20 Jahre nach ihrer Entstehung als Cover von D.H.T. wieder die Charts erobern konnten, dass durchaus angesehene Acts wie Get Well Soon oder Shirley Bassey ihre eigenen Versionen der Lieder von Roxette aufgenommen haben und sich selbst Coolness-Apostel wie Gavin Haynes zu ihrer Vorliebe für die beiden Schweden bekennen. Davon kann auf Good Karma keine Rede mehr sein. Es gibt fast keine Gitarren auf diesem Album, praktisch kein echtes Schlagzeug und kaum eine Spur von „klassischem Songwriting“. Tüfteln im Studio heißt hier nicht: Lass uns probieren, ob dieses Instrument oder diese Gesangsnote besser klingt. Es heißt stattdessen: Copy & Paste.

Die Vorab-Single It Just Happens, zugleich der erste Song, der für das Album aufgenommen wurde, ist ein schauriges Beispiel dafür: Das Lied bricht brachial herein und schert sich auch danach nicht um Eleganz oder Plausibilität. Der Text ist dumm, die Eingängigkeit soll mit dem Holzhammer („Ahahaha-Uhuhuhu“) erreicht werden. Vor allem aber passen die einzelnen Teile nicht zusammen. Derselbe Effekt stellt sich beim Titelsong ein. Die Powerchords im Refrain von Good Karma und auch das Klavier erinnern verdächtig an Foreigners Say You Will, auch deshalb klingt das Stück mehr nach 1986 als Roxette damals wirklich geklungen haben. Der Refrain ist gut, der Text sogar der beste auf diesem Album, aber wieder werden einfach Teile aneinander geklebt.

Dass es hier mehr um einen modernen Sound geht als um stimmige Songs, illustriert auch From A Distance. „Wir haben davon auch eine Version, die eine Ballade ist, und eine Akustikversion. Aber diese fröhliche Variante fanden wir am besten“, sagt Per Gessle – als sei der Charakter eines Songs beliebig wandelbar. Als Ergebnis klingt das Lied wie ein sehr banales Überbleibsel aus der Roxette-Glanzzeit vor einem Vierteljahrhundert. Das solide Some Other Summer beweist immerhin, dass er noch gute Melodien schreibt, aber auch dieses Lied bleibt beliebig. This One ist gekonnt produziert, wodurch der Track einigen Druck bekommt, aber die Komposition ist sehr dünn. Ähnliches lässt sich in Why Don’t You Bring Me Flowers? feststellen: Der Song ist üppig arrangiert, aber die Ideen gehen ihm schon vor dem ersten Refrain aus. Immerhin zeigt dieses Lied: Es sind mittlerweile die tiefen Register in der Stimme von Marie Fredriksson, die am meisten beeindrucken.

Wenigstens etwas Charme und Individualität beweist Why Dontcha gleich zum Auftakt der Platte. Das Lied beginnt erstaunlich reduziert und klingt fast noch wie ein Demo, vor allem wegen des Beatbox-Rhythmus (der tatsächlich direkt vom Demo übernommen wurde). Es ist das Lieblingsstück von Per Gessle: „Es ist einer dieser Drei-Akkorde-Songs, die ich so gerne mag. Sie klingen einfach, aber gerade diese Einfachheit ist besonders schwer zu erreichen.“ Einer der wenigen Lichtblicke ist auch 20 BPM, das Lied traut sich aber leider nicht, ein lupenreiner Rocksong zu werden – wohl aus Angst, das könne altmodisch wirken.

Wie sehr er dieses Attribut scheut, gesteht Per Gessle gerne: „Ich denke nicht, dass wir altmodisch sind. Ich denke aber, dass es in der Popmusik, heute mehr denn je, um den Refrain geht, um Gimmicks, um Eingängigkeit. Nur so kann man inmitten der Zillionen von Liedern da draußen überhaupt noch wahrgenommen werden“, sagt der 57-Jährige, fügt aber auch an: „Popmusik sollte immer die Ära widerspiegeln, in der wir leben. Sie sollte von jungen Leuten gemacht werden, die das Heute prägen. Wenn ich Popmusik mache, dann wurzelt die in einem ganz anderen Zeitalter. Das ist eine komplett andere Angelegenheit.“

Genau diese Erkenntnis scheint er bei den Aufnahmen zu Good Karma aber aus den Augen verloren zu haben. Jetzt stehen Lieder wie You Make It Sound So Simple (für das tatsächlich ein Begriff wie „Dubstep“ nicht ganz falsch wäre) neben Songs wie You Can’t Do This To Me Anymore, das mit dem alten Kumpel Mats Persson entstanden ist. Per Gessle holt darin den Sprechgesang mit Stimmeffekt wieder raus, der schon bei The Look oder Dangerous so gute Dienste geleistet hat. Das Ergebnis ist nicht schlecht, wird aber niemandem etwas bedeuten, der nicht schon seit mindestens 15 Jahren ein Fan dieser Band ist. Auch der Schlusspunkt des Albums enttäuscht. April Clouds ist die ursprüngliche Version von Wish You The Best, das schon 1997 auf Pers Soloalbum The World According To Gessle erschienen ist. Text und Arrangement sind leicht anders, zudem singt diesmal Marie Fredriksson, die sich begeistert von dieser Ballade zeigte. Der größte Unterschied ist allerdings, dass diese Aufnahme noch schwülstiger klingt.

Ein Remake eines 20 Jahre alten Songs steht also am Ende einer Platte, die sich zum Ziel gesetzt hat, modern zu sein. Es ist dieser Spagat zwischen dem Bewahren des eigenen Sounds und der Weiterentwicklung, den Roxette diesmal nicht hinbekommen. Bezeichnenderweise gibt es hier vor allem austauschbare Lieder – also genau das, was Per Gessle an den meisten aktuellen Popsongs kritisiert: „In den Sechzigern war Musik noch verschränkt mit Mode, Architektur, Fotografie, der Kunstszene, Andy Warhol. Popmusik war ein Statement. Heute ist sie, in gewisser Weise, ein Wegwerfartikel. Das ist kein schönes Wort, aber mir fällt wirklich kein besseres Wort dafür ein.” Leider macht er auf Good Karma denselben Fehler, der für diesen Wegwerf-Charakter verantwortlich ist. Er glaubt, Technologie und Sounddesign könnten gute Ideen und eine stimmige Atmosphäre ersetzen.

Menschen verlieben sich im Video von It Just Happens, aber wohl nicht in diesen plumpen Song.

Website von Roxette.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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Ein Gedanke zu “Roxette – „Good Karma“

  1. Wahnsinn, der komplette Text (bis auf den Teil mit der Band, in der ich nicht spielte) könnte von mir sein. 100%ige Übereinstimung. Leider.

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