Ryley Walker – „Golden Sings That Have Been Sung“

Künstler Ryley Walker

Golden Sings That Have Been Sung Ryley Walker Kritik Rezension
Auf seinem vierten Album hat Ryley Walker erstmals einen Produzenten angeheuert.
Album Golden Sings That Have Been Sung
Label Dead Oceans
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

„Hey, why the long face, boy?“, fragt Ryley Walker in Funny Thing She Said. Die Frage ist an ihn selbst gerichtet und erscheint berechtigter denn je. Zum einen hat der 27-Jährige für sein 2015 veröffentlichtes Album Primrose Green reichlich Lob eingefahren. Als „Folk-Wunderknaben“ feiert ihn etwa der Rolling Stone seitdem. Zum anderen führte ihn die begleitende Tour mit 200 Shows durch die ganze Welt, was unter anderem noch das Instrumental-Album Land Of Plenty abwarf, aufgenommen live in The Whistler in Chicago.

Seine Heimatstadt prägt auch das neue Werk Golden Sings That Have Been Sung sehr deutlich. Als Ryley Walker Ende 2015 wieder dort ankam, ging er über die Weihnachtsfeiertage sofort ins Studio – auch, um das Gefühl einzufangen, nach der langen Tour wieder den Geist von Chicago und sein musikalisches Erbe in sich zu spüren, etwa von Bands wie Gastr del Sol und Tortoise (deren Gitarrist Jeff Parker ein wichtiger Einfluss für ihn war). Auch bei der Entscheidung, erstmals einen Produzenten anzuheuern, war die Heimatstadt die richtige Adresse: Der Wunschkandidat war LeRoy Bach (Wilco). Bei den öffentlichen Jam-Sessions, die Bach 2009 in Chicago veranstaltete, war Ryley Walker damals ein Stammgast: „For me, it was an incredible opportunity, because you would sometimes also have Dan Bitney, the drummer with Tortoise, and I’d get to play with these people. I mean, they were twice my age. I’m sure they thought I was annoying at first, maybe some of them still do, but I kind of looked at them like gurus – and to have these old school Chicago heads taking me in was just amazing.”

Ryley Walker kann immer noch nicht fassen, dass er den einstigen Guru nun als Partner gewonnen hat. „It was everything I wanted it to be“, schwärmt er. „I would go to LeRoy’s house every other day with a riff, and we would take it from there”, erzählt er zur Arbeitsweise. So spontan das klingt, so elaboriert ist Golden Sings That Have Been Sung geworden: Viele Songs profitieren wie die Single The Halfwit In Me von opulenten Arrangements, die in der Kombination mit der virtuosen Gitarre und Walkers unnachahmlicher Stimme immer wieder an Tim Buckley erinnern.

Die Stimmung ist beschaulich, entspannt und manchmal auch ein wenig niedergeschlagen, wie das Zitat zu Beginn erahnen lässt. Vieles ist geradezu impressionistisch oder angejazzt wie The Roundabout oder der mehr als acht Minuten lange, mit einer effektvollen Harfe verzierte Rausschmeißer Age Old Tale. Für die nötigen Spannungspunkte sorgen etwa Bass und Schlagwerk in A Choir Apart oder der Latin-Rhythmus von The Great And Undecided.

Neben dem Motiv der Heimkehr kommt in den Texten von Golden Sings That Have Been Sung immer wieder das Ringen um den Glauben zur Sprache. „I don’t have a Christian education“, bekennt der Erzähler in Sullen Mind. Später singt Ryley Walker in I Will Ask You Twice, ausnahmsweise nur zu Akustikgitarre und Gesang: „I don’t read the Bible, baby.“ Doch viel mehr als ein einheitliches Thema – sei es Chicago oder Religion – prägt vor allem die schwelgerische, klassische und sehr homogene Atmosphäre dieses Album, das großes Können mit großer Emotionalität verbindet.

Einen Spaziergang durch Chicago zeigt das Video zu The Roundabout.

Ryley Walker bei Facebook.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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