Künstler | San Fermin | |
Album | Belong | |
Label | Polydor | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Ein ungewöhnlicher Songwriter ist Ellis Ludwig-Leone, der Kopf von San Fermin, gleich in mehrfacher Hinsicht. Erstens hat er sich, als musikalischer Frühstarter und nach einem Abschluss in Komposition an der Yale University, erst sehr spät in Richtung Pop orientiert. Zweitens lässt er auf seinen Platten – auch auf dem gerade erschienenen Belong, dem dritten Album der Band aus Brooklyn – liebend gerne seinen Bandkollegen den Vortritt im Rampenlicht, vor allem den gleichberechtigten Leadsängern Charlene Kaye und Allen Tate. Und drittens hat er, passend zu dieser Rolle als der Mann, der lieber im Hintergrund die Fäden in der Hand hat, bisher fast nie über sich selbst geschrieben.
Das ist die wichtigste Neuerung auf Belong. „Früher habe ich meine Songs für gewöhnlich aus der Sicht von Charakteren aus Büchern oder Filmen geschrieben, um mich selbst von meinen Texten zu distanzieren“, sagt Ludwig-Leone etwa über die Stücke auf dem Debütalbum von San Fermin (2013) und dem Nachfolger Jackrabbit (2015). „Aber mit der Zeit wurde ich selbstbewusster als Songwriter. So entschied ich mich dazu, meine Songs etwas direkter zu schreiben.”
Sein wichtigstes Thema ist dabei sofort ein sehr persönliches: Angst. „Schon als kleines Kind hatte ich Angstzustände, aber ich habe noch nie so offen und detailliert davon erzählt wie auf diesem Album.”, betont gesteht Ludwig-Leone. So handelt Dead nach seiner Aussage von der Angst, für andere Menschen verantwortlich zu sein. In Bride schildert er eine Panikattacke kurz vor dem Weg zum Traualtar, entsprechend zappelig klingt der Song dazu. No Promises behandelt sehr funky die Angst, das Vertrauen zu enttäuschen, das einem die Mitmenschen so großzügig entgegengebracht haben. Vielleicht sind die eigenen Eltern gemeint, denn „Waste your youth“ heißt gegen Ende der Appell, und viel schicker als hier könnte der Soundtrack für die Umsetzung dieser Aufforderung nicht sein.
Die Bereitschaft, etwas mehr von seinem Innenleben preiszugeben, beruht auch darauf, dass Ellis Ludwig-Leone bei San Fermin nun sicher sein kann, die richtigen Mitstreiter an seiner Seite zu haben. „Es fühlt sich einfach unglaublich an, dass das, was einmal nur aus mir bestand, jetzt ein eigenes, selbstständiges Leben führt”, sagt er über seine Band, mit der er beispielsweise schon im Vorprogramm von St. Vincent, The National, Alt-J oder den Arctic Monkeys zu sehen war. „Einer der schönsten Aspekte dieses Albums war, dass ich zum ersten Mal Songs für Leute geschrieben habe, die ich sehr gut kenne und mit denen ich schon hunderte Male zusammen auf der Bühne stand. Es fühlt sich an, als würde ich diese Musiker mittlerweile sehr gut verstehen und wissen, was ihnen vorschwebt.”
Dieses Vertrauen und die Fähigkeit, das eigene Miteinander zum denkbar besten Ergebnis zu führen, hört man etlichen Songs auf Belong an. Oceania ist ebenso verwunschen wie wuchtig, Bones wird reduziert und sexy, August bleibt zart und hübsch, ohne je langweilig zu sein. Happiness Will Ruin This Place beginnt fast wie ein normaler Folksong, dann gesellen sich ein federnder Beat und auch etwas Elektronik hinzu. Palisades/Storm endet auf magische Weise in einer Kakophonie. Auch der Album-Auftakt Open nimmt eine ähnliche Entwicklung: Er beginnt behutsam und mysteriös; am Ende steht ein sehr großer, voluminöser Sound, ohne dass man beschreiben könnte, wie man da gelandet ist.
Eine besondere Stärke bei San Fermin sind natürlich die beiden Stimmen: Wenn Charlene Kaye singt, ist das Ergebnis oft sphärisch und etwa in der Nähe von Austra anzusiedeln, der Gesang von Allen Tate bringt ein paar Soul-Referenzen ein und wirkt im Vergleich dazu oft wunderbar geerdet. Im verträumten Belong wechseln sie sich Zeile für Zeile ab, was einen fast magischen Effekt hat wie in einem skandinavischen Märchen, zu dem man auch noch tanzen kann. „In Belong geht es um das Gefühl, verliebt zu sein, aber gleichzeitig zu realisieren, dass man schlichtweg nicht all seine Zeit mit dieser Person verbringen kann. Aber das bedeutet nicht, dass das falsch ist. Es geht um die Wertschätzung der Isolation innerhalb der Liebe”, erklärt Ludwig-Leone die Idee hinter dieser Ballade.
Ebenso wichtig sind natürlich seine Fähigkeiten als Komponist (und diesmal auch als Produzent). Das spannende Cairo ist ein tolles Beispiel für seine Musikalität. Gleiches gilt für Perfume, das beste Lied der Platte, das Leichtigkeit mit Intelligenz und Schönheit mit Anspruch vermählt. Beat, Gesang, Bläser, Streicher: in jeder dieser Zutaten steckt bei San Fermin eine besondere Idee.
Mit Better Company gibt es sogar einen Song, der sich der Kategorie „Ausgelassenheit“ sehr deutlich nähert. „Der Song ist über meinen Lifestyle, wenn ich mal nicht auf Tour bin, wenn ich einfach nur im Keller sitze, an meiner Musik arbeite und das Haus verwahrlost”, sagt Ludwig-Leone. Dass das so kurzweilig klingt, liegt am hochinteressanten Rhythmus, ebenso wie am zusätzlichen Reiz durch Saxofon und Trompete, die am Ende einen fast lustigen Rausch entstehen lassen.
Über die eigenen Schwächen (und Ängste) lächeln zu können, ist einer der schönsten Effekte beim Musizieren, findet der Komponist: „Natürlich fand, während ich die Songs schrieb, eine Katharsis statt, weil ich mit Sachen umgehen musste, die lange unter der Oberfläche gebrodelt haben”, sagt er. „Ich denke zwar nicht, dass das Schreiben selbst tatsächlich etwas dagegen bewirkt – aber es hilft dabei, das Problem zu erkennen und lässt dich vielleicht herausfinden, wie du damit leben kannst. Manchmal reicht das schon.”
San Fermin spielen Songs von Belong und reden darüber.
https://www.youtube.com/watch?v=7i2DeVN1sV8