Künstler | Seinabo Sey | |
Album | Pretend | |
Label | Universal | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Genau vier Probleme hat dieses Album: Track 11, 12, 13 und 14. Man kann Seinabo Sey zugute halten, dass zwei davon als Bonusmaterial gezeichnet sind, also als nette Geste an die Fans nicht ganz so schwer ins Gewicht fallen sollten: Pistols At Dawn ist ein schlechter Bond-Song, bei dem man sich 007 offensichtlich auch noch als großen Coldplay-Fan vorstellen sollte. Das hysterische River, das ganz am Ende der Platte steht, hat ebenfalls nichts von der Finesse, die Pretend sonst auszeichnet.
Auch die zwei Lieder davor trüben den Gesamteindruck: Ruin ist nach mehr als einer halben Stunde Spielzeit das erste Stück auf diesem Debütalbum, das etwas zu kalkuliert wirkt, vor allem wegen des schmierigen Chors. Und der abgeschmackte Gospel-Versuch Burial wird zum schlimmsten Moment der Platte – da hilft es auch nicht, dass das Lied dem 2013 verstorbenen Vater von Seinabo Sey gewidmet ist.
Immerhin führt dieser Verweis aber zu einigen der Stärken der Schwedin. „Dieses Album handelt wirklich durchweg von meinem Leben. Es geht um all die Dinge, die ich erlebt habe“, sagt Seinabo Sey – und ein derart autobiografischer Ansatz ist durchaus selten geworden im Popgeschäft. Sie hat allerdings auch eine Lebensgeschichte, über die es Einiges zu erzählen gibt. In Stockholm geboren, ging sie mit vier Jahren nach Gambia, in die Heimat ihres Vaters Maudo Sey, der dort ein sehr erfolgreicher Sänger war.
Drei Jahre blieb sie in Afrika, es folgte eine Weile in Halmstad an der schwedischen Westküste. „Inzwischen mag ich es, andauernd umzuziehen, Mir fällt es sogar schwer, über einen langen Zeitraum am selben Ort zu bleiben. Wichtiger als die Orte selbst ist dabei, wie viel man über die Menschen lernt, wenn man andauernd umzieht. Inzwischen weiß ich echt ziemlich genau, was man machen muss, um an einem Ort über die Runden zu kommen“, sagt sie. Mit 15 entschloss sie sich schließlich, nach Stockholm zu gehen, um dort Soul Music zu studieren.
Dort traf sie auf Produzent Magnus Lidehäll, der schon Katy Perry, Madonna oder Kylie Minogue mit Songs versorgt hatte, und entdeckte in ihm den perfekten musikalischen Partner. „Unsere Zusammenarbeit läuft deshalb so gut, weil wir beide wissen, was wir können. Wir versuchen erst gar nicht, uns in die Bereiche des anderen einzumischen: Er redet mir beim Gesang und den Texten nicht rein, und ich überlasse ihm die Produktion, ohne mich da groß einzumischen“, sagt Seinabo Sey.
Lidehäll hat ihr für Pretend einen sehr angenehmen und zeitgemäßen, aber nicht beliebigen Sound auf den Leib geschneidert. Immer wieder entfalten sich in den Songs dieses Albums neue Genres, wie ein Schrank gefüllt mir sehr schillernder Garderobe, in der die Stimme von Seinabo Sey umso eindrucksvoller glänzen kann. E-Gitarren (Easy) gehören ebenso dazu wie elektronische Elemente (das sehr spannende Hard Time erinnert an Moby), Streicher, Amy-Winehouse-Schwermut (Sorry) oder HipHop-Beats.
Am Beginn des Albums steht der Song, der Seinabo Sey vor zwei Jahren auch die erste Aufmerksamkeit im Netz und Attribute wie „natürlicher Blues für das neue Jahrtausend“ (Rolling Stone) beschert hatte: Younger. „Ich frage mich da, warum ich nicht einfach das gemacht habe, was ich den Leuten immer als meinen großen Traum verkauft habe“, erklärt sie – und dieser Traum war ursprünglich eine Karriere als Rechtsanwältin. Als Auftakt ist das durchaus untypisch: Eine Minute lang gibt es nur Orgel und Gesang, aber vor allem in Letzterem steckt so viel Reichtum, dass man das kaum bemerkt.
Man könnte den Fehler machen und glauben, eine solch schöne Stimme sei schon die halbe Miete für ein gelungenes Album. Aber zum einen brauchte Seibado Sey recht lange, um wirklich Vertrauen zu ihrer eigenen Stimme zu finden (bis sie 13 war, hat sie sich nicht getraut, vor anderen Leuten zu singen). Zum anderen bietet Pretend erfreulicherweise auch musikalisch so viel Substanz, dass selbst eine schwächere Sängerin mit diesen Liedern hätte reüssieren können. Der Titelsong vereint auf wundersame Weise den Punch von Eurodance und die Grazie von Soul II Soul. Die Frage „Who do you think you are?“ im energischen Who könnte man gut mit „Beyoncé“ (die zu den Vorbildern von Seinabo Sey zählt) beantworten. Still ist typisch für dieses Album: reduziert, erwachsen und stolz.
„Ich mag es, wenn man fühlt, wie einen die Musik wirklich durchdringt beim Zuhören, wenn einfach nichts überstürzt ist. Mir ist wichtig, dass die Leute genug Zeit haben, um die Songs auf sich wirken zu lassen“, sagt die 25-Jährige. Dem enorm ausgereiften Words hört man das ebenso an wie der nachdenklichen Ballade You. Das wäre eindeutig der bessere Schlusspunkt für diese Platte gewesen – und hätte aus einem guten Album ein wirklich außergewöhnliches gemacht.