Sizarr – „Nurture“

Künstler Sizarr

Die Songs auf "Nurture" sind teilweise in Leipzig entstanden.
Die Songs auf „Nurture“ sind teilweise in Leipzig entstanden.
Album Nurture
Label Four Music
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

„Sizarr sind absurd schlecht“, war eine meiner Erkenntnisse nach dem Melt! 2011. Ich muss gestehen: Das war damals schlampig recherchiert. Ich hatte ihre Show nur ein paar Minuten im Vorbeigehen verfolgt, und das hatte mir ehrlich gesagt auch schon gereicht. Diesmal habe ich gründlicher gearbeitet. Morgen erscheint ihr zweites Album Nurture, ich habe es mir genau elf Mal angehört. Und mein Urteil: Sizarr sind absurd schlecht.

Das Trio aus der Oberpfalz (mittlerweile hat es Fabian Altstötter, Philipp Hülsenbeck und Marc Übel in andere deutsche Regionen verschlagen, die Songs für Nurture entstanden deshalb unter anderem in Heidelberg, Berlin, Hamburg und Leipzig, in dessen Panometer auch einer der zehn Tracks aufgenommen wurde) hat nach dem erfolgreichen Debütalbum Psycho Boy Happy (2012) auch diesmal unüberhörbar internationale Ambitionen und den unbedingten Willen, zeitgemäß zu sein. Doch fast nichts auf Nurture funktioniert.

Der Auftakt Clam hat die Leichtigkeit von The Drums, aber ohne heiter oder gar sommerlich zu sein. Slightly probiert sich an der Exotik von Vampire Weekend (mit denen Sizarr schon auf Tour waren), aber ohne deren Begeisterung. Timesick klingt wie Duran Duran ohne durchgeknallten Glamour. How Much For This? nimmt von den Smiths nur die Weinerlichkeit und die altertümlichen Gitarreneffekte, nicht die genialen Texte. I May Have Lied To You ruft finstere Erinnerungen an Simply Red wach und Untitled ist eine noch schlimmere Schnulze. Das Lied soll wohl rührend sein (als Mittel der Wahl gibt es nur Gesang und Klavier) ist aber bloß schmierig – und bietet ungefähr so viel Intimität wie ein Gangbang.

Was will diese Band? Uns zum Mitsingen bringen? Dazu sind die Melodien zu schwach. Songs zum Tanzen abliefern? Dafür sind die Beats zu lahm. Ebenso introspektive wie innovative Popsongs basteln? Dafür sind die Texte zu schlecht und die Mittel zu vertraut. Unzweifelhaft ist bei Sizarr nur: Sie wollen eindeutig großflächig bewundert werden, doch sie bieten jenseits von prätentiösen Posen nichts, was dazu Anlass böte.

Das zweitgrößte Problem des Trios ist seine Identitätslosigkeit, das größte Problem ist allerdings die Stimme von Fabian Altstötter. Das heißt nicht, dass er nicht singen kann. Aber er ist sich auf Nurture in jedem Moment bewusst, dass er singt. Als Sänger einer Band. Vor Publikum. Im Rampenlicht. Niemals lässt er sich fallen in diese Musik, nirgends lässt er Leidenschaft erkennen. Jeder Ton, den er singt, scheint zu sagen: „Schaut auf mich, ich bin Sänger in einer Band!“

Eine der Neuigkeiten auf Nurture, das wie das Debütalbum von Markus Ganter produziert wurde, ist, dass er diesmal auch ein paar deutsche Brocken in seine Texte einstreut. „Ich habe viele deutsche Sachen gehört und mich sehr in die Sprache verliebt. Früher war ich da zu jung für, Deutsch fand ich irgendwie affig. Bei den neuen Texten kam es allerdings vor, dass ich deutsche Worte hatte, von denen ich nicht wusste, wie ich sie übersetzen sollte, also habe ich sie so belassen“, sagt Altstötter. Ein Beispiel dafür ist Baggage Man, so blasiert wie Hurts, aber ohne eine Spur von deren Grandezza.

You And I zeigt, dass Sizarr leider zu jung sind, um zu wissen, wie schlimm die Eighties wirklich waren. Damals haben Kohl, Thatcher und Reagan regiert. Bayern München war sechsmal Deutscher Meister. John Lennon wurde erschossen, dafür wurde Paris Hilton geboren. Die Achtziger waren komplett künstlich, hohl und scheiße. Ich sage jetzt nicht: genau wie Sizzar – aber es gibt keinen keinen keinen Grund, dieses Jahrzehnt plötzlich schick zu finden.

Slender Gender ist einer von etlichen Tracks, bei dem man in jedem Moment befürchten muss, das schreckliche Gespenst eines Bass-Solos komme gleich um die Ecke. Am Ende von Scooter Accident gibt es Noise-Elemente, die fast unverschämt laut schreien: „Hört her, wir können auch experimentell sein!“ Das ist zwar unerträglich plakativ, aber trotzdem der beste Moment des Albums. Denn es sind die einzigen Takte auf Nurture, die vielleicht dem Zufall entsprungen sind, einem spontanen Moment der Inspiration – und nicht dem Kalkül.

Nasenduschen, Brüste und Hokuspokus bietet das Video zum Timesick.

Homepage von Sizarr.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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3 Gedanken zu “Sizarr – „Nurture“

  1. Die Rezension gefällt mir sehr gut! Ich finde das Album nicht ganz so schlimm, wie es anscheinend bei dir ankommt, aber deine Argumente sind treffend! 😉
    Interessanter Weise scheinen die meisten anderen von der Platte „begeistert“ zu sein…
    Am Dienstag um 20 Uhr kommt meine Rezension auf http://www.eclat-mag.de online. Vielleicht willst du ja mal nachlesen 😉

  2. Hey – bin gespannt auf DEINE Band und was die so von sich gibt. Freue mich auf deine Songs der 80ern!
    Irgendwie habe ich den Eindruck, daß da etwas Neid mitspielt! Kennst du die Jungs?
    Leben und Leben lassen ist die Devise. Mach‘ dich locker?

    Entspann‘ dich und beschäftige dich mit etwas Efreulichem, das dich entspannt. Studiere zum Bsp. den Lamrim im Buddhismus
    – sehr interessant und du kommst runter. Nur ein Tipp!

    Enjoy your life!

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