Künstler | Slim Twig | |
Album | Thank You For Stickin’ With Twig | |
Label | DFA | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
Es ist der vorletzte Song auf Thank You For Stickin’ With Twig. Er heißt Live In, Live On Your Era. Und er klingt ganz anders als alles, was es zuvor auf diesem Album gegeben hatte – so sehr, dass man meinen könnte, es plötzlich mit einem ganz anderen Künstler zu tun zu haben. Man hatte so etwas befürchten müssen bei Slim Twig, denn dieser Effekt hat bei ihm Methode: Der 26-Jährige aus Toronto, der von seiner Mama und dem Finanzamt wahrscheinlich weiterhin Max Turnbull genannt wird, hat sich bisher für jede seiner musikalischen Veröffentlichungen völlig neu erfunden. In den vier Jahren seit seinem letzten Album hat er in diversen Bands gespielt, andere Künstler produziert und zwei Filme gedreht. Da leidet jemand ganz eindeutig an einer Überfunktion der Drüsen, die für Kreativität zuständig sind.
Das Ergebnis ist auch auf seinem fünften Album oft spannend und manchmal geradezu visionär, allerdings wenig einnehmend. Das eingangs erwähnte Live In, Live On Your Era ist so anders, weil es ausnahmsweise beinahe straight daher kommt, mit entschlossenem Schlagzeug und einem geradezu plakativen Gitarrenriff. Der Rest der Platte ist die Sorte von Musik, die dem Künstler weitaus mehr Spaß bereitet als den meisten Hörern.
Manchmal klingt das, als hätten sich die Master-Tapes aus Bowies Soul- und Glamrockphase verknotet und seien jetzt nicht mehr richtig zu entwirren wie in A Woman’s Touch (It’s No Coincidence). Es gibt drei Instrumental-Tracks, Songs mit Sixties-Charme wie Stone Rollin‘ (Musical Emotion) und ein Stück mit dem schönen Titel Fog Of Sex (N.S.I.S.), das klingt wie Donovan auf einem sehr schlechten Trip.
Mit You Got Me Goin’… scheint Slim Twig einen Soul-Klassiker gefunden zu haben, der seit Jahrzehnten durchs All schwebt und dabei ein bisschen zu viel kosmische Strahlung abbekommen hat. Später setzt er das Lied mit …Out Of My Mind fort. Die Stimme von Meg Remy, die auch bei etlichen anderen Tracks auftaucht, bereichert die ziemlich kaputte Single Slippin‘ Slidin’, die sich irgendwo zwischen den Flaming Lips und Marilyn Manson niederlässt. Textiles On Mainstreet gleicht einer Rockoper, die von einem Virus zerfressen wird. Roll Red Roll (Song For Steubenville) klingt, als würde aus einer Ursuppe an Tönen ganz langsam ein völlig neues Genre entstehen. Auch in Fadeout Killer setzt Slim Twig auf den Lo-Fi-Sound, die unerwarteten Tempowechsel und die unangenehme Verzerrung, die Thank You For Stickin’ With Twig prägen, offenbart aber auch Lust auf Harmonie und Melodie.
Wer von Musik eher Konzept als Genuss erwartet, der ist hier genau richtig. Und wer sich fragt, woher Slim Twig mutmaßlich die Ideen für seine schrägen Klangexperimente nimmt, findet die Antwort im letzten Song der Platte, einem eingängigen, hymnischen Instrumental. Es ist eine Serge-Gainsbourg-Cover und heißt Cannabis.