Künstler | The Afghan Whigs | |
Album | In Spades | |
Label | Sub Pop | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Man könnte The Afghan Whigs für eine Band von gestern halten, erst recht nach der Auflösung im Jahr 2001 und der Wiedervereinigung elf Jahre später. Als die Band anfing, existierten heute als Veteranen geltende Acts wie Alice In Chains, Fugazi, Danzig oder Nirvana noch gar nicht. Im Grunge-Hype blieben sie (trotz ihres Labels) bloß Mitläufer, bezeichnenderweise brachte ihnen das 2014er Comeback-Album Do To The Beast die bisher höchste Charts-Platzierung ein. Nicht zuletzt blickt Frontmann Greg Dulli auch in seinen Texten gerne zurück.
“There’s a difference between nostalgia and connecting with your past“, betont der 52-jährige Sänger und Gitarrist allerdings aus Anlass des neuen Albums In Spades. „For the last few years, I’ve been in touch with the younger me: I clearly don’t want to get too far away from that kid. I had a lucid dream about my childhood: I was watching myself as a boy in Birdland, playing basketball with my friends. I knew exactly where I was, and when I woke up from that dream, I wrote Oriole“, beschreibt er die Entstehung eines der zehn Songs, in dem alles – an erster Stelle ist der schwere Beat zu nennen – Kraft und Stabilität vorgaukelt, die der Gesang aber völlig zunichte macht. „I thought a lot, too, about these distinct memories of when I used to ride my bike through a field near the river. I would see a place I didn’t understand, or know where it was – but I’m in that place now. I was here before I got here; I was already waiting for me.”
Es ist dieses Element des Übersinnlichen, aus dem In Spades seinen Reiz bezieht, natürlich auch aus dem bewährten Mix aus Punk, Soul und Hardrock, den die Afghan Whigs weiterhin bestens beherrschen. „It’s a spooky record“, sagt Dulli über das achte Studioalbum seiner Band, das in New Orleans aufgenommen wurde. “I like that it’s veiled. It’s not a concept album per se, but as I began to assemble it, I saw an arc and followed it. To me it’s about memory – in particular, how quickly life and memory can blur together.”
Den Auftakt macht Birdland mit vielen Synkopen und Lust auf Experimente, der Titel bezieht sich dabei nicht auf den legendären Jazzclub am Broadway, sondern auf eine der Gegenden in Ohio, in denen Dulli aufwuchs. Dieser Opener ist bereits der sperrigste Moment von In Spades, danach bieten Dulli, Dave Rosser (Gitarre), Jon Skibic (Gitarre), Patrick Keeler (Schlagzeug), Rick Nelson (diverse Instrumente) und John Curley (Bass) durchaus eingängige Kost wie beispielsweise Demon In Profile, das mit etwas mehr Tempo richtig tanzbar sein könnte, oder I Got Lost, eine Klaviervallade im Geiste von Tom Petty.
Die Texte voller Anspielungen auf Irrwege der Psyche, Lust, Gewalt und Metaphysik, mit denen sich Greg Dulli etwa in eine Reihe mit Nick Cave stellt, prägen Songs wie etwa Copernicus. “Listen in the distance / As the sky begins to fall / Raining down like crystalline / Apocalypse in thrall”, singt Dulli darin, der Sound strahlt eine fast martialische Härte aus, die aber nicht aus maskulinem Machismo entsteht, sondern ein bisschen Pose und vor allem Ablenkung von der eigenen Verzweiflung an der Welt ist.
Light As A Feather wartet mit einem Breitwand-Refrain auf, ist in der Strophe hingegen erstaunlich funky. Womöglich ist das als Reminiszenz an eine der vielen Pop-Größen zu verstehen, die im vergangenen Jahr starben. “The reaper was hungry in 2016. Prince’s passing perhaps affected me the most“, sagt Greg Dulli. „He was my North Star. Watching him upped my quality control, and opened my eyes to the absolute joy and necessity of selfevolution.” Welche Ergebnisse diese Selbstverpflichtung bringen kann, verdeutlicht Arabian Heights am deutlichsten: Auf positive Weise klingt der Track wie U2 vor 20 Jahren. Er ist beat-getrieben („What Patrick does on that song is a master class in drumming. It was like watching a Formula One racer move through the gears“, schwärmt Dulli), aber dabei die Verwurzelung im Gitarrenmusik nicht verleugnend und in Summe hochgradig verführerisch.
Das Zusammenspiel, das The Afghan Whigs seit 2012 auch auf der Bühne wieder zelebrieren, ist das vielleicht prägendste Element für In Spades. „This is the first time since Black Love [aus dem Jahr 1996] that we’ve done a fullblown band album“, sagt Dulli, und sein Bandkollege John Curley ergänzt: “As the last tour wound down, Greg and I realized we wanted to keep the momentum going and roll that energy into making a record.” Dank dieser Energie werden in Liedern wie The Spell auf meisterhafte Weise der Beat, die Gitarren und Streicher miteinander verworben. Der Album-Schlusspunkt Into The Floor, in dem Don Henleys Boys Of Summer nicht nur anklingt, hat sich sogar aus einem Jam entwickelt, den die Band während der letzten Tour jeden Abend spielte. „We nailed it in one take”, sagt Dulli über den Moment, als daraus eine Aufnahme wurde.
Der Sound der Afghan Whigs wird natürlich auch auf In Spades wieder von Bläsern garniert, am prominentesten in Toy Automatic, das recht plakativ beginnt, aber am Rande des Wahnsinns endet. “I brought the horns in on Toy Automatic for emotional devastation“, sagt Greg Dulli passenderweise. “The horns pulling those long lines gave me so much power: when they come in, the song takes off, and I sing with everything I have. It might be the most unbridled vocal I’ve ever done.“
Dass Gestern eine große Rolle im Werk der Band spielt, ist somit kein Geheimnis, In Spades beweist dennoch, wie wohl sich die Afghan Whigs im Heute fühlen. Gründungsmitglied John Curley sagt, die Zeit, in der die Band brach lag, habe entscheidend dazu beigetragen: “When we broke up, we were burnt out and ground down, but I never stopped being friends with Greg. Over the course of a lifetime, there are constants, and there’s also change. You see who’s dropped off the vine – who’s going in reverse, and who’s still by your side. It’s interesting to see where life takes you, and where it doesn’t. That’s the journey and it hasn’t stopped.”