Künstler*in | The Anna Thompsons | |
Album | The Anna Thompsons | |
Label | RAR | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
„Alle hören Musik, aber nur Männer reden darüber. In den Redaktionen der Rockmagazine sitzen Kerle, Kerle, Kerle. Würde man das Verhältnis der Geschlechter dort auf die gesamte Gesellschaft übertragen, wäre das Land eine einzige Wüste, in der behaarte Kameraden in Jeeps mit aufgeschraubten Maschinengewehren herumfahren.“
Das schreibt Oliver Uschmann, als Autor unter anderem für Visions selbst einer aus dieser Spezies, in seinem Buch Überleben auf Festivals. Und er beklagt, dass Musikerinnen angesichts dieser patriarchalischen Rahmenbedingungen immer bloß als „Röhre“ oder „Elfe“ eingruppiert werden – egal, wie vielschichtig ihr kreatives Schaffen tatsächlich sein mag.
Da ist natürlich etwas dran. Hört man aber The Anna Thompsons, das Debütalbum der gleichnamigen Band, dann drängt sich der Gedanke auf, dass Musikerinnen gelegentlich auch von diesem Phänomen profitieren können. Ambika Thompson, Ana Catalá (jeweils Gitarre/Keyboards/Gesang), Karen Thompson (Bass/Gesang) und Kristen Munchheimer (Schlagzeug/Gesang) sind vier Damen aus Berlin, die seit 2011 gemeinsam musizieren. Sie sind jung und hübsch, berufen sich auf Helden wie Wire und Kate Bush, kokettieren gelegentlich mit Unbeholfenheit und posieren auf ihren Pressefotos bauchfrei oder im Minirock. Kein Wunder, dass Nerds in Musikredaktionen darauf anspringen. Es gibt ein paar Momente auf dieser Platte, in denen man – der Satz muss bei einer ausgeglichen Betrachtung von Gender-Debatten erlaubt sein – den Verdacht hat: Ein Quartett von Jungs würde man mit einem so amateurhaften Sound niemals durchkommen lassen.
Das schwache Bleeding Teeth gehört dazu, auch Heartbreaker, das wie eine arg schlichte Version der Easybeats daher kommt. Vieles hier ist niedlich, aber manchmal ist es auch nicht mehr als das. Das schlechte Mastering kommt dem Hörgenuss ebenfalls nicht gerade entgegen.
Trotzdem hat das Quartett viele Herzen gewonnen, nicht nur in Musikredaktionen, sondern auch mit reichlich Konzerten in Berlin. Dort ist King Khan, der das Album auch produziert hat, zu so etwas wie dem Entdecker und Förderer der Mädels geworden. „In dieser kalten, schlechten Welt sind The Anna Thompsons das gewisse Etwas, dass die verzweifelte Seele braucht, um wieder etwas zu fühlen“, schwärmt er. „Ihre Harmonien sind so engelsgleich wie ihre Attitüde Punk ist. Man muss sie sich wie einen italienischen Horrorfilm voller süßer kannibalischer Engel vorstellen – und jeder, der ihnen seine Seelen und Ohren opfert, wird mit einem himmlischen Lächeln belohnt werden.”
Das ist eine durchaus treffende Charakterisierung, denn abgesehen von den oben beschriebenen Schwächen hat The Anna Thompsons viel Charme und einen hohen Spaßfaktor. „We’ll turn ourselves into the creepy people we want to be“, warnen sie gleich zu Beginn des Albums in Phone Richie, das zwischen den Zeilen in jedem Moment “Unkonventionell! Schräg! Underground“ schreit, ohne dass das stören würde. Amazing Grace führt Sleater Kinney und Joy Division (und am Ende eine Passage aus einer Grace-Jones-Biographie) zusammen.
Hey Pony entwickelt im Refrain einen Übermut, wie man ihn einst bei Be Your Own Pet erleben konnte, das irre Spain Attacks klingt, pardon, wie die Ramones mit Brüsten. Suspiria ordnet sich irgendwo zwischen Blondie und den Long Blondes ein (obwohl, ähem, nur eines der Mitglieder bei den Anna Thompsons blond ist). Der wichtigste Bezugspunkt sind allerdings Those Dancing Days: Fuck You beispielsweise erinnert an deren Schwung und Selbstbewusstsein, auch mit seinem Text, in dem mit nervigen Aufreißer-Typen abgerechnet wird.
Unicorn ist ein gutes Beispiel dafür, wie geschickt The Anna Thompsons mit reduzierten Arrangements arbeiten, gerne auch acappella oder mit Gesang, der nur vom Bass begleitet wird: Die Strophe ist rein akustisch und recht simpel, dadurch klingt der deutlich elaboriertere Refrain umso eindrucksvoller. Splashy taucht eine Gitarre wie aus einem Fifties-Science-Fiction-Film in einen Kessel aus Anarchie, am Ende gibt es mit Castillos einen Track auf Spanisch, der sich nach zwei Minuten in einen tollen New-Wave-Song und dann wieder zurück verwandelt.
Das hat, wie erwähnt, zwar noch seine Schwächen, ist aber in jedem Fall eine Entdeckung. Den möglichen Vergleich mit Jungs ignorieren The Anna Thompsons einfach, in dem sie ihre Mädchenhaftigkeit zugleich zelebrieren und brechen. Und außerdem beweisen sie all den Kerls in ihren Jeeps und Musikredaktionen: Man kann zugleich Röhre und Elfe sein.
Auch Serienkiller können niedlich sein, beweist das Video zu Phone Richie.
httpv://www.youtube.com/watch?v=qfljVxl-ngo