Künstler | The Beatles | |
Album | Live At The BBC – The Collection | |
Label | Universal | |
Erscheinungsjahr | 2013 | |
Bewertung |
Man sollte meinen, nun wäre die ultimative Stufe des Ausverkaufs erreicht. Schon 1994 erschien Live At The BBC, versammelte reichlich Radio-Sessions der Beatles und verkaufte mehr als fünf Millionen Exemplare in nur sechs Wochen. Nun gibt es mit On Air – Live At The BBC Vol. 2 einen Nachfolger, der weitere Radio-Aufnahmen enthält, teilweise sogar Lieder (wenn auch andere Takes davon), die bereits auf Live At The BBC enthalten waren.
Wer glaubt, weiter könne man die Strategie „Wir holen alles aus den Archiven, das man kurz vor Weihnachten noch irgendwie unters Volk bringen kann“ nicht treiben, der sei gewarnt: Bei der BBC dürfte noch jede Menge Material lagern. Zwischen März 1962 und Juni 1965 strahlte das Tantchen satte 275 Performances der Beatles aus. Nach den 71 Tracks von Live At The BBC und den 59 Stücken von Vol. 2 ist also noch reichlich übrig.
On Air – Live At The BBC Vol. 2 enthält, wie bereits der Vorgänger, wenig Spektakuläres und ist in erster Linie für Komplettisten interessant. Beide Sammlungen taugen kaum als Best-Of-Ersatz, und dennoch sind sie für Beatles-Fans essentiell. An erster Stelle trägt dazu I’ll Be On My Way bei, eine Lennon/McCartney-Komposition, die die Beatles nie selbst veröffentlicht haben. Dazu kommen Details, die für Beatlemaniacs natürlich höchste Relevanz haben: Thank You Girl klingt hier viel grooviger als auf Platte, Honey Don’t wird in der BBC-Session von John gesungen, auf Platte von Ringo. Zudem gibt es auf On Air noch hörenswerte Interviews, in denen John über seinen schwarzen Rolls Royce spricht, George über seine schwierige Rolle als dritter Songwriter, Paul über das Filmemachen und Ringo über das Leben als Einzelkind.
Doch darüber hinaus haben diese Radiosessions noch einen ganz anderen Wert, was vor allem deutlich wird, wenn man Live At The BBC – The Collection hört (also die Kompilation von 1994 und die neue Ausgabe, zusammengefasst in einem hübschen Schuber, insgesamt 130 Tracks auf vier CDs): Sie sind ein einzigartiges Zeitdokument.
Zunächst unterstreicht diese Sammlung eindrucksvoll den enormen Stellenwert, den das Radio damals hatte. Etliche Sendungen hatten in England ein Millionenpublikum, waren feste Institutionen im familiären Leben. Allerdings fand Popmusik damals im Radio (zumindest bei der BBC) praktisch nicht statt – entsprechend sehnsüchtig blickten junge Fans den seltenen Gelegenheiten entgegen, wenn ihre Helden im Radio zu hören waren, und entsprechend heiß waren neue Bands darauf, einen dieser raren Plätze zu ergattern.
Die Beatles wussten sehr genau um die Macht, die hinter der Reichweite der BBC steckte, und das Medium wurde ein wichtiger Faktor für ihren Triumphzug. Erste Aufnahmen für die BBC machten die Beatles schon 1962, also bevor sie überhaupt eine Single veröffentlicht oder auch nur einen Plattenvertrag hatten, und noch mit Pete Best als Schlagzeuger. Später waren sie sich nicht zu schade, dem Saturday Club, einer der wichtigsten BBC-Popsendung in den 1960ern, ein exklusives Geburtstagsständchen zu singen. Im Sommer 1963 hatten sie dann sogar ihre eigene BBC-Show namens Pop Go The Beatles.
Die zweite Erkenntnis, die Live At The BBC – The Collection vor Augen führt, passt in diesen Kontext: Es ist der ungeheure Ehrgeiz, mit dem John, Paul, George und Ringo zu Werke gingen, ihr Fleiß und Arbeitseifer. Allein 1963 traten die Beatles in 39 Radiosendungen auf, in einer dieser Sessions (für Buchhalter: am 16. Juli 1963) nahmen sie unglaubliche 18 Songs auf.
Die BBC-Sessions belegen das für heutige Verhältnisse riesige Repertoire der Band, geschult vor allem in den Clubshows in Hamburg und immer wieder ergänzt um die vielfältigsten Einflüsse von den frühen Rockern, die sie geprägt haben, bis hin zu sehr aktuellen R&B-Sachen, die teilweise gar nicht in England zu haben waren. Diese Coverversionen sind oft im gleichen Maße von Wildheit und Ehrfurcht geprägt und sie verdeutlichen die Breite des Geschmacks und die stilistische Offenheit der Band – und nicht zuletzt ihre Begeisterungsfähigkeit: Die Beatles waren damals genauso Pop-Fans wie Pop-Stars. Ihre Neuinterpretationen von Songs von Chuck Berry, Ray Charles oder den Shirelles zeigen zudem: Bei allen Eskapaden und Clownerien waren die Beatles sagenhaft professionell.
Der Gesang ist auf quasi allen Tracks immer piccobello, wie etwa Baby It’s You oder A Taste Of Honey beweisen. I Feel Fine ist kaum von der Single-Version zu unterscheiden, auch Anna (Go To Him), Chains, Ask Me Why, Till There Was You oder P.S. I Love You klingen praktisch wie die Studio-Aufnahmen. Allerdings zeigen diese vier CDs auch, wie filigran diese Lieder sind – und wie schnell sie deshalb entgleiten können, wenn ein kleines Detail nicht passt oder die ultimative Konzentration fehlt. Es gibt hier ein paar Momente, in denen richtig gute Lieder mächtig an Wirkung verlieren, weil sie etwas halbherzig gespielt werden wie All My Loving oder Things We Said Today, die hier beinahe müde wirken.
Nicht zuletzt beweist Live At The BBC damit auch, wie gut die Beatles bei der Arbeit im Studio gemeinsam mit George Martin einen Blick für den ultimativen Take entwickelt hatten: Bei all diesen Radio-Sessions ist praktisch nichts entstanden, das besser, inspirierter oder lebendiger klingt als die jeweiligen Studio-Aufnahmen. Stattdessen ist diese Kompilation wohl die bestmögliche Annäherung an so etwas wie ein brauchbares Live-Album der Beatles. Denn technische Möglichkeiten für Studiotricks gab es damals bei der BBC praktisch nicht, erklärt Kevin Howlett, der etliche der hier enthaltenen Sessions produzierte: „Mostly what we hear on the BBC tapes is the sound of the group performing live, direct to tape – or, sometimes, straight onto the air. Minus the distraction of the noisy hysteria omnipresent in their public concerts, recordings of their BBC appearances reveal how accomplished and exciting The Beatles were when they played live.”
Das führt zum augenfälligsten Merkmal dieser Sammlung: der Energie. „When I listen to the BBC recordings, there’s a lot of energy. I think spirit and energy – those are the main words I’d use to describe them. We are going for it, not holding back at all, trying to put in the best performances of our lifetimes”, schreibt Paul McCartney in den Liner Notes zu On Air – Live At The BBC Vol. 2, und fügt dann noch ein verschmitztes “By the way, of course, we were brilliant! Let’s not forget that” an.
Man muss ihm zustimmen: Nothin’ Shakin’ oder I’m A Loser klingen extrem vital, The Hippy Hippy Shake wird vollkommen ire und bei She Loves You kann man nur staunen (erst recht, wenn man bedenkt, dass die Beatles damals noch Konzerte gaben und den Song wahrscheinlich mindestens 20 Mal pro Monat spielten), mit wie viel Enthusiasmus sie das rüberbringen.
Ebenso erstaunlich ist im Rückblick die Erkenntnis, wie sehr John, Paul, George und Ringo in diesen Jahren, als sie noch nicht die Pop-Götter waren, als die sie heute gelten, sondern zunächst bloß die nächste Teen-Sensation, mit sich im Reinen waren. Es gibt zwischen den Songs immer wieder humorvolle Unterhaltungen zwischen den Bandmitgliedern und mit den Moderatoren. Ringo gibt natürlich besonders gerne den Hallodri, aber auch John stellt sich mit einem Bonmot vor: „I play the guitar, and sometimes I play the fool.“ Die Beatles verströmen hier eine so unnachahmliche Lebensfreude und einen derart ansteckenden Optimismus, dass es damals inmitten der stocksteifen BBC beinahe radikal wirken musste.
Wenn man an die Streitigkeiten in der Spätphase der Band denkt, dann sind diese Sessions fast rührend harmonisch: Jeder ist zu 100 Prozent Beatle. Das meint nicht nur die Abwesenheit von Ego-Trips, sondern auch die totale Identifikation mit der eigenen Kunst und dem Phänomen Pop. Ihr ehemaliger Pressesprecher Derek Taylor bringt das in den Liner Notes sehr treffend auf den Punkt: „Radio allowed them to ‘be themselves’ and that was always enough for The Beatles and for their followers.”
Der Trailer für On Air – Live At The BBC Vol. 2:
httpv://www.youtube.com/watch?v=RkPZH4MYCKM