The Blood Arm – „Infinite Nights“

Künstler The Blood Arm

Auf "Infinite Nights" entdecken The Blood Arm ihre sanfte Seite.
Auf „Infinite Nights“ entdecken The Blood Arm ihre sanfte Seite.
Album Infinite Nights
Label RIP Ben Lee Records
Erscheinungsjahr 2013
Bewertung

Mein nach wie vor unvergesslichstes The-Blood-Arm-Erlebnis hatte ich beim Southside-Festival 2007. Frontmann Nathaniel Fregoso kletterte da mitten ins Publikum, das sich am frühen Nachmittag noch nicht allzu zahlreich vor der Bühne eingefunden hatte. Er sang inmitten der Fans, ließ sich begrabschen, mit Bier versorgen und anschreien und überspielte sehr geschickt die Tatsache, dass sich nur geschätzte vier Prozent der Festivalbesucher für den Auftritt seiner Band interessierten.

Es war eine Szene, in der – ohne dass jemand es hätte ahnen können – schon ganz viel von dem angelegt war, was nun in Infinite Nights zum Ausdruck kommt, dem vierten Album von The Blood Arm. Zum einen macht die Platte deutlich, dass Fregoso einfach nicht anders kann als ein Showmann zu sein. Zum anderen zeigt sie einmal mehr, dass The Blood Arm immer ein bisschen zu speziell für den ganz großen Durchbruch waren (auch wenn sie auf dem letzten Album Turn And Face Me sehr energisch – und vergeblich – versucht haben, das Gegenteil zu beweisen).

Infinite Nights ist in mehrfacher Hinsicht ein Neubeginn. Fregoso und Keyboarderin Dyan Valdés leben mittlerweile nicht mehr in Los Angeles, sondern in Berlin. Mit Matthew Wheeler (The Rumble Strips) gibt es einen neuen Schlagzeuger. Und dazu einen Sound, den wohl kaum jemand von The Blood Arm erwartet hatte: Nach wie vor gehören dazu Feger wie die Glamrock-Single Midnight Moan oder Spinnertes wie das verspielte Bubblegum, ein Lied über die erlösende Kraft des Kaugummis irgendwo zwischen Ween und den Flaming Lips. Es gibt aber auch viele ruhige, sogar besinnliche Momente.

Oh Ali Bell! (stilecht mit Mundharmonika) ist der erste davon, auch eine Ballade wie Happy Hour hätte man dieser Band nie zugetraut, und spätestens bei Torture, das die erste Hälfte des Albums abschließt, merkt man, dass man es bei der neuen Sanftmut nicht mit einem Gimmick zu tun hat. Das Lied verströmt eine enorme Gelassenheit, die auf dem Wissen beruht, dass man die wirklich aufregenden Momente im Leben ohnehin nicht vorhersehen oder gar planen kann. Man lässt sie lieber auf sich zukommen statt ihnen permanent entgegen zu fiebern.

Wunderhübsch ist auch der Titelsong, der zunächst so klingt, als würde Alex Kapranos einmal richtig sein Herz ausschütten („I know I’m a fool / but I think I love you“) und sich dann nach mehr als drei Minuten zu einer Hymne aufrafft. Der Rausschmeißer Another Stop Along The Way, zunächst nur mit Klavier und Gesang, dann mit einem famosen Pseudo-Cello, ist noch so ein Lied, in dem der Tag die Zeit ist, die man hinter sich bringen muss, bis das (Nacht-)Leben wirklich beginnt.

Natürlich bietet Infinite Nights dazu auch den leicht schrägen Powerpop, für den man diese Band einst ins Herz geschlossen hat. Wrong Side Of The Law könnte perfekt die Szene in einem Kinofilm illustrieren, in der das Heldenpärchen beschließt, gemeinsam durchzubrennen, nicht nur wegen der Zeile „Who could blame two people so in love“. Sex Fiend klingt wie die Pixies im Austin-Powers-Modus, Matters Of The Heart baut sich rund um ein tolles Riff auf, mit sehr schöner Melodie und sehr cleverem Arrangement.

Doch auch bei diesen Songs fällt auf: Es gibt hier nicht mehr die große Unbedingtheit, das Vorwärtsstürmen, die aufdringliche Überzeugungskraft. Let Me Be Your Guide beispielsweise wirkt wie ein Lied von jemandem, der gerade erst das Gitarrespielen gelernt hat (und ein großer Romantiker ist). The Blood Arm kommen auch in anderen Passagen dieses Albums gelegentlich wie eine Hobbyband rüber, wozu auch der betonte Lo-Fi-Sound von Infinite Nights beiträgt. Vielleicht haben sie die großen Ambitionen beerdigt und mittlerweile das erkannt, was sich schon damals bei der Southside-Show andeutete: Sie werden vielleicht nicht von vielen Leuten geliebt. Aber dafür umso inniger.

Midnight Moan beweist: The Blood Arm können auch noch heavy.

httpv://www.youtube.com/watch?v=M7Jgu2mt8zI

Homepage von The Blood Arm.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.