Künstler | The Prodigy | |
Album | The Day Is My Enemy | |
Label | Cooking Vinyl | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
Das Problem an The Day Is My Enemy, dem sechsten Studioalbum von The Prodigy, erkennt man vielleicht schon beim Blick auf die Tracklist. Nasty? Destroy? Get Your Fight On? Wall Of Death? Sind das nicht alles Songtitel, die es von dieser Band schon einmal gab? Oder zumindest längst hätte geben müssen?
Es ist nach 16 Millionen verkauften Alben das Dilemma von Liam Howlett, Keith Flint und Maxim: Ihr Dampfhammer-Sound war früher einmal schockierend, heute ist er etabliert. „Es geht um einen Sound, der ein Gespür für Gefahr innehat. Das ist es, worum es im Sound von The Prodigy geht“, umreißt Liam Howlett das Profil seiner Band. Man muss ihr zugute halten: The Day Is My Enemy ist nicht weniger brachial und nicht weniger gut als frühere Platten. Wenn The Prodigy dieses Album vor 20 Jahren herausgebracht hätten, dann wäre es ein ebensolcher Urknall gewesen wie Music For The Jilted Generation. Aber wir schreiben 2015, und man muss feststellen: The Prodigy gehen mit ihrer Musik keinerlei Gefahren mehr ein.
Natürlich hatte man nicht erwarten können, dass The Prodigy plötzlich eine Platte mit Balladen oder Folksongs abliefern (auch wenn das ziemlich spannend, eigentlich sogar Punkrock gewesen wäre). Aber auch innerhalb ihres vertrauten Sound-Universums gibt es auf The Day Is My Enemy kaum Überraschungen. Das hat den traurigen Effekt: Eine Musik, die ein Frontalangriff auf das Wort „Wohlklang“ sein möchte, ist erwartbar geworden. Ein Sound, der sich die totale Provokation zum Ziel gesetzt hat, ist langweilig.
„Nasty, nasty / triple X rated“, schreit Keith Flint im zweiten Track des Albums zu einem asiatischen Sample – auch das ist einer dieser Momente, in denen man sich fragt: Hatten wir das nicht schon einmal? Wenn Rhythm Bomb (mit der Zeile „I need a real man to make my body rock“, die einem Sample von Jomanda entnommen ist) eine Fortsetzung von Smack My Bitch Up sein soll, dann ist sie denkbar misslungen. Auch Roadblox ist einer der Tracks, die so sehr im Soundgefüge dieser Band verharren, dass man nicht mehr sagen kann, worin sie sich von einer Prodigy-Parodie unterscheiden.
Freilich muss man attestieren: The Day Is My Enemy hat weiterhin gute Einfälle, den nötigen Wumms und genug Abwechslung inmitten des üblichen Infernos. Ibiza profitiert vom Gast-Rapper Sleaford Mods, Beyond The Deathray könnte einen guten Soundtrack für einen Horrorfilm abgeben. Invisible Sun kokettiert mit Gangsta-Rap-Atmosphäre, Medicine baut auf orientalische Klänge und eine Stimme, die verdammt nach Lenny Kravitz klingt. Rebel Radio ist in punkto Melodie vielleicht das Beste, was The Prodigy je gemacht haben.
Keith Flint, Maxim und Liam Howett machen weiterhin Musik, mit der man Festivalmengen beglücken kann, mit der sie in einem addierten Alter von 136 Jahren noch halbwegs cool wirken können und der man mit ein paar Ablenkungsmanövern so etwas wie ein subversives Potenzial unterstellen kann (unter anderem haben The Prodigy vor ein paar Tagen ihr neues Albumcover auf das riesige Battersea-Kraftwerk in London projiziert, vielleicht das großspurigste Guerilla-Marketing der Welt).
Sie machen auch weiterhin Musik, zu der Menschen headbangen werden. Es wird junge Männer geben, die sich bei Tracks wie dem Titelsong, der auf ein Berserker-Schlagzeug, eine Stimme wie von einem Gnom mit sehr traumatischer Kindheit und die fiesesten Synthies jenseits von Atari Teenage Riot setzt, ein bedröhntes „Wie geil ist das denn?“ zuschreien. Mit Liedern wie Wild Frontier könnten Teenager in der richtigen Lautstärke nach wie vor ihre Eltern (okay: ihre Großeltern) auf die Palme bringen.
Darin stecken eine Wut, ein Wissen um ein ganzes Leben als Außenseiter und die Entschlossenheit, niemals mit dem Normalzustand einverstanden zu sein, die man schwerlich simulieren kann. „Ich kann nicht sagen, als welchem Grund dieses Album so wütend ausgefallen ist. Ich denke, das ist einfach in mir. (…) Musik, die ich mag, habe ich immer als eine Art von Angriff gesehen. Das ist es, wofür ich Musik nutze, sie ist eine Art Attacke“, sagt Liam Howlett passend dazu über The Day Is My Enemy. Seine Band macht nach wie vor Musik, die nach diesem Prinzip ausgerichtet ist, und die genau weiß, welche Mittel sie anwenden muss, um diesen Effekt zu erreichen. Sie macht Musik, die funktioniert, und das ist die Krux an diesem Album: Wenn The Prodigy eine Sache niemals sein wollten, dann ist es Funktionsmusik.
Wild Frontier ist das wohl blutigste Zeichentrickvideo seit Itchy und Scratchy.
https://www.youtube.com/watch?v=-mS6lvcp_1s&feature=youtu.be