Hingehört: The Shoes – „Chemicals“

Künstler The Shoes

Cover des Albums Chemicals von The Shoes bei Labelgum
In dieser Tüte sind offensichtlich keine Schuhe.
Album Chemicals
Label Labelgum
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Ich habe keine Ahnung, wie man Schuhe herstellt. Aber ich habe eine Vermutung: Man nimmt wahrscheinlich zuerst die Sohle, fügt dann Absatz, Schaft, Schnürsenkel und nach und nach immer weitere Teile hinzu. So wird am Ende ein Schuh draus.

Basis für diese Vermutung ist nicht eine dunkle Erinnerung an ein Erklärvideo in der Sendung mit der Maus, sondern die Arbeitsweise von The Shoes. Benjamin Lebeau und Guillaume Brière, die beiden Mitglieder des Duos aus Reims, agieren auf ihrem dritten Album Chemicals ebenfalls nach dieser Schicht-für-Schicht-Methode, mit sehr überzeugenden Ergebnissen. Fast immer nehmen die Tracks der Franzosen eine Entwicklung von einem geradezu konventionellen Beginn hin zu einem spektakulären, gerne auch etwas schrägen Finale.

Weitere Gemeinsamkeiten zwischen den Stücken auf Chemicals zu entdecken, ist allerdings so gut wie unmöglich. Das Werk fühlt sich eher wie ein Sampler an als wie ein Album, bei dem alles aus einer Hand kommt. 15 Instead & Brown (featuring Mikill Pane) ist ein gutes Beispiel dafür: Erst gibt es fast zwei Minuten lang HipHop ohne Beat, dann etwas, das zu den Chemical Brothers passen würde, schließlich einen Sound, der wie eine explodierende Big Band klingt. Auch Drifted illustriert dieses Prinzip: Eine aggressive Bass Drum aus dem Technoclub trifft auf ein verlorenes Klavier und den schüchternen Gesang von SAGE. All das zeigt: Die Songs von The Shoes sind nicht nur inhomogen, sondern anti-homogen.

Damit spiegelt das dritte Album des Duos die Erfahrung als Produzenten (unter anderem für Woodkids Erfolgsalbum The Golden Age) und Remixer (beispielsweise für Pharell Williams und Shakira). Geschrieben und produziert haben sie Chemicals in Paris, New York, London und Reims. Für die Stimmen wurden sie meist im Umfeld ihres Labels fündig. Black Atlass, der schon mit Woodkid auf Tour war, hat den spektakulärsten Gastauftritt. Seine Stimme am Beginn von Feed The Ghost (bei dem auch noch Blue Daisy und Amateur Best mitwirken) ist so einzigartig, dass es auch spannend wäre, wenn er das Telefonbuch vorlesen (oder Texte von Janet Jackson singen) würde, aber natürlich begnügen sich The Shoes damit nicht, sondern liefern höchst ungewöhnliche Musik dazu.

Esser hat mit dem aufgeweckten Elektropop von Made For You und dem geheimnisvollen Us & I gleich zwei Auftritte. Auch Blaine Harrison von den Mystery Jets darf doppelt ran: Der Album-Auftakt Submarine ist verschlafen und zugleich gewitzt wie einst die Songs der Beta Band, Vortex Of Love rückt eher in die Nähe von Hot Chip. Was The Shoes in Give It Away gemeinsam mit Postaal errichten, ist nicht ganz ein Sommer-House, aber immerhin sehr schöner Herbst-House. Whistle entwickelt als Schlusspunkt von Chemicals auch ganz ohne Gaststar enormen Zug. Und Lost In London (feat. Petite Noir) wirkt, als würden sich The Cure mit Lykke Li zum gemeinsamen Shoegazing treffen.

Das ist enorm abwechslungsreich und beweist dann doch noch eine weitere Gemeinsamkeit: Die Songs von The Shoes sind immer schick, modern und spannend.

Der Albumteaser zu Chemicals.

Homepage von The Shoes.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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