Künstler | The Soundwalk Collective with Jesse Paris Smith featuring Patti Smith | |
Album | Killer Road | |
Label | Bella Union | |
Erscheinungsjahr | 2016 | |
Bewertung |
Zwei Geschichten treffen zusammen, wenn man nach den Ursprüngen von Killer Road sucht. Die erste Geschichte beginnt in einem Flugzeug: Dort saß Stephan Crasneanscki, ein Drittel des Soundwalk Collective, zufällig neben Patti Smith. Sie kamen ins Gespräch über ein musikalisches Projekt, das er schon lange angehen wollte. Die Sängerin war begeistert von der Idee, schon wenig später nahmen sie ein paar Stücke auf, schließlich wurde das Werk, das eigentlich ausschließlich als audio-visuelle Live-Performance geplant war, in New York aufgeführt, danach auch in London und Berlin, wo auch Patti Smiths Tochter Jesse Paris hinzu stieß. Nun gibt es das Ergebnis der Zusammenarbeit auch als Platte.
Der zweite Erzählstrang spielt auf Ibiza: Dort starb im Jahr 1988 Christa Päffgen alias Nico. Nach ihrem legendären Mitwirken bei The Velvet Underground und jahrelanger Heroinsucht war sie gerade clean geworden, als sie während einer Fahrradtour einen Herzinfarkt erlitt, stürzte und starb. Der Gedanke an die Tragik dieses Todes war es, der Stephan Crasneanscki schon lange beschäftigte – Killer Road ist letztlich eine Reflexion darüber.
Der Text des Titeltracks basiert auf einem unveröffentlichten Gedicht von Nico. “The killer road is waiting for you / like a finger, pointing in the night”, lautet einer der Verse, die geflüsterte Stimme ist entsprechend gespenstisch, die Musik eher Klangmalerei. Tod und Verfall sind auch in den folgenden Stücken, deren Texte ebenfalls Interpretationen des lyrischen Werks von Nico sind, die zentralen Themen. Und der Ansatz des Soundwalk Collective (neben Stephan Crasneanscki gehören Simone Merli und Kamran Sadeghi zu diesem Künstlertrio), ihre Klangcollagen neben selbst eingespielten Passagen auch mit Field Recordings und Geräuschen anzureichern, bildet eine erstaunlich passende Entsprechung dazu.
Als Leitmotiv hat Crasneanscki das Zirpen der Grillen gewählt. “I wanted to have a sound piece that would basically use the music of crickets – the intoxicating quality of their sound – with the poem that Nico wrote in Ibiza just before her death, and finding some kind of connection between the voice reading the poem and the sound of the cricket that’s so exhausting – they’re killing themselves by singing to the point of exhaustion”, hat er im Kunstmagazin Zoo erklärt.
So entfalten sich auf Killer Road neun sehr eindringliche Tracks. Secret Side ist gerade deshalb so unheimlich, weil es so stoisch ist. My Only Child verbreitet die Stimmung einer Séance. Saeta klingt wie die Musik von jemandem, der im Fernsehen immer bloß Twin Peaks in Endlosschleife sehen durfte. Evening Of Light schwillt immer bedrohlicher an und setzt passend dazu auf das Geräusch von Meeresrauschen. In Fearfully In Danger ist das Harmonium im Einsatz, das Nico gehörte (nachdem man es zunächst beim Pfandleiher wieder auslösen musste). Auch hier kann man die nahe Brandung hören, aber es klingt nicht nach Strandleben, Urlaub und Badespaß, sondern nach Nacht, Kälte und Tod.
Die Stimme von Patti Smith ist wunderbar geeignet, um die Atmosphäre von Killer Road und die Musik des Soundwalk Collective zu veredeln. “It was the most amazing experience and collaboration after fifteen years of working with many, many artists and she was definitely one of the most powerful people that I have ever had the pleasure to work with”, schwärmt Crasneanscki über die Kollaboration. Auch für Patti Smith selbst gibt es einen sehr persönlichen Bezug zum Thema dieser Platte. Der Nicht-Gesang von Nico war ein wichtiger Einfluss beim Versuch, ihre eigene Stimme zu finden, erzählt sie, “because I had no ambition to be a singer – I was simply trying to deliver my poetry – as she did – in a unique way.”
Wie kraftvoll das sein kann, zeigt beispielsweise The Sphinx. Da wird klar, was sie (Patti Smith als Stimme und Nico als Urheberin) in all diesen Stücken beklagt, nämlich „My loneliness“, immer wieder. Die Musik in I Will Be Seven könnte man für nett halten, wäre da nicht diese Stimme, die ein baldiges Wiedersehen im Jenseits nicht verspricht, sondern androht. Der Höhepunkt des Albums ist My Heart Is Empty, denn hier wirken die Effekte des Soundwalk-Collective-Ansatzes und des Gesangs kongenial zusammen: „My heart is empty“, singt Patti Smith, und wenig später, noch bedrohlicher: „There is no witness to my anger.“ Dazu hört man beispielsweise das Summen einer Fliege. Es ist ein Geräusch, das in anderem Kontext denkbar harmlos klingen könnte. Aber hier darf man gewiss sein, dass dieses Summen mit Aas und Verwesung zu tun hat.