The Voyeurs – „Rhubarb Rhubarb“

Künstler The Voyeurs

Mit ihrem zweiten Album sind The Voyeurs auch gedanklich in England angekommen.
Mit ihrem zweiten Album sind The Voyeurs auch gedanklich in England angekommen.
Album Rhubarb Rhubarb
Label Heavenly
Erscheinungsjahr 2014
Bewertung

Dass man bei einer Band, die sich The Voyeurs nennt (früher firmierte das Quintett als Charlie Boyer & The Voyeurs), ein gewisses Maß an Weirdness erwarten darf, liegt wohl auf der Hand. Ein Albumtitel wie Rhubarb Rhubarb übertrifft dieses Maß aber noch einmal ganz locker. Wörtlich übersetzt bedeutet das, jawohl: Rhabarber Rhabarber.

Passender wäre allerdings „Palaver, Palaver“, denn der Terminus hat eine übertragene Bedeutung, auf die The Voyeurs anspielen. “People in playhouses have been using ‚rhubarb rhubarb‘ for centuries, it’s an old thespian trick. Actors would repeat the phrase to conjure up an angry mob. They believe that mumbling or screeching ‚rhubarb rhubarb‘ has the same confused qualities as an indistinct muttering or even a faraway outrage, it is used keenly wherever the script will allow”, erklärt Frontmann Charlie Boyer. Das zweite Album seiner Band soll also klingen wie ein kaum verständliches Gelaber im Hintergrund, zugleich bedrohlich wie eine sich nähernde Menschenmasse, deren Gemurmel ebenfalls alles Mögliche bedeuten könnte.

Das ist eine durchaus treffende Beschreibung für den Sound dieser Platte. Damit ist nicht gemeint, dass es hier nur bedeutungslose Laute gibt – die Texte von Charlie Boyer erzählen durchaus reizvolle Geschichten. Aber sie spielen oft in Klanglandschaften, die sich nicht recht verorten lassen, und sind getragen von einer Art von Aggressivität, bei der man ahnt, dass sie vielleicht nur für die Theaterbühne gedacht ist.

Gleich das erste Lied illustriert das. Train To Minsk klingt wie Glamrock, aber gebremst und gebrochen. “It’s about the idea of just getting to somewhere else”, sagt Charlie und ergänzt: “The new album is about interesting sounds and interesting stories. Some parts are lush and almost orchestral, with Mellotron-type sound effects. Other parts are stripped back to almost nothing. It’s a studio record where the first album was a live record.”

Besagtes Debütalbum Clarietta hatten The Voyeurs 2013 noch mit Edwyn Collins aufgenommen, diesmal heuerten sie Oli Bayston als Produzenten an. Aufgenommen wurde Rhubarb Rhubarb in London, und während Clarietta noch deutlich von Vorbildern aus New York geprägt war, sind Charlie Boyer (Gesang und Gitarre), Danny Stead (Bass), Sam Davies (Gitarre), Samir Eskanda (Schlagzeug) und Ross Kristian (Keyboards). diesmal nicht nur mit den Füßen, sondern auch mit den Gedanken und dem Herzen in England geblieben. “There are a lot of domestic themes – sometimes a story about a boy and a girl, with maybe some of the characters moving from song to song. It’s more of an English record – where showtunes and a sense of humour enter the picture, moving on from simple gutter rock”, bestätigt Boyer diese These.

Das punkige Say You Love Him (And Choke) ist hörbar von den Buzzcocks geprägt. Die Single Stunners klingt wie eine Lo-Fi-Variante von Franz Ferdinand, am Ende lässt French Fancy mit engagiertem Bass und giftigem Gitarrensolo an die Ausgelassenheit von Primal Scream denken, aber so, als hätten sie von Sex und Drogen bisher immer nur gelesen.

England Sings Rhubarb Rhubarb dürfte mit der warmen Orgel, der Fuzz-Gitarre und dem melodieseligen Bass vielen Fans der späten Beatles gut gefallen. The Smiling Loon vereint die gekonnt inszenierte Trägheit, Pop-Sensibilität und Psychedelik-Vorliebe der frühen Blur.

An vielen anderen Stellen klingen The Voyeurs allerdings, als lebten sie vollständig in ihrer eigenen Welt. Pete The Pugilist ist (ja, das gibt es) auf beunruhigende Weise entspannt. Ein zackiges Schlagzeug verleiht Damp Walls beträchtlichen Schwung, zugleich klingt in diesem Lied trotzdem alles wie in Wolken gehüllt. Und May Will You Stop ist so eine Art von Ballade, zu der man auf keinen Fall kuscheln möchte.

Nicht zuletzt sind auch die Themen auf Rhubarb Rhubarb durchaus relevant und vor allem aktuell. „There’s a lot of noise around in the world today”, umreißt Charlie des Konzept hinter dieser Platte. “I was thinking of the idea of making noise but not really saying anything. The idea of ‘rhubarb, rhubarb’ is unscripted background conversation in plays and on television. Today people are commenting on things all the time, commenting in new ways – Twitter and things. But a lot of it’s just more background, another kind of ‘rhubarb, rhubarb’…”

The Voyeurs spielen Stunners live in Liverpool.

The Voyeurs bei Facebook.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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