Tigeryouth – „Tigeryouth“

Künstler Tigeryouth

Tigeryouth Kritik Rezension Album
„Tigeryouth“ wurde innerhalb von sechs Tagen aufgenommen.
Album Tigeryouth
Label Zeitstrafe
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

Wenn einer sein zweites Album (und nicht etwa das Debüt) nach seinem Künstlernamen benennt, dann muss man wohl ein gesteigertes Bedürfnis nach Egotrip erwarten. „Ich bade in Selbstmitleid / Ich bin so unerträglich eitel“, singt Tilman Benning alias Tigeryouth dann auch prompt in Blumenbeete, dem ersten Lied dieser morgen erscheinenden Platte.

In der Tat ist auch in den elf folgenden Liedern sein wichtigstes Thema: er selbst. Das innerhalb von sechs Tagen aufgenommene Tigeryouth feiert den ungesunden Lebenswandel, der sich wohl fast automatisch einstellt, wenn man 450 Shows in fünf Jahren spielt und seinen Lebensmittelpunkt in dieser Zeit unter anderem nach Leipzig und Halle verlegt. Die Platte stellt Bennings Kettenraucherstimme ebenso in den Vordergrund wie seine Vorliebe fürs Nachtleben und seine nicht allzu deutlich ausgeprägte Wertschätzung für bürgerliche Werte (in Angst reimt sich treffenderweise „pleite“ auf „Kneipe“; Leere Gläser hieß vor zwei Jahren seine erste Platte). All das lässt an Wanda denken, doch im Gegensatz zu den Posern aus Österreich ist Tigeryouth ein Überzeugungstäter.

Lieder wie Herz schultern enthalten erstmals in seinem Werk auch Schlagzeug und E-Gitarre, trotzdem bleibt sein Sound so etwas wie Punk ohne Druck. Der Rausschmeißer Die müden Straßen bietet schöne Libertine-Romantik. In Aufgewacht bangt man vor lauter Eifer um die Unversehrtheit von Korpus und Saiten seiner Gitarre. Explizit politisch wird er in Lauter, einer Reaktion auf Pegida, AfD & Co. „Ausschlaggebend für den Song war, dass ich, nachdem ich öffentlich Position zu dem Thema bezogen habe, feststellen musste, dass sich selbst unter den Menschen, denen meine Musik gefällt, sogenannte ‚besorgte Bürger*innen’ verirrt hatten“, erklärt Benning. „Ich dachte, dass meine Haltung und auch meine Verwurzelung in der linken Szene klar genug in meinen Texten zu erkennen waren. Dass das offensichtlich nicht stimmte, hat mich erschreckt und ziemlich schnell dieses Song entstehen lassen.“

Manchmal würde man auf dieser Platte aber gerne ein bisschen weniger Überzeugung in Kauf nehmen, wenn es dafür im Gegenzug etwas mehr Geist oder Poesie gäbe. Was das Album an Leidenschaft im Übermaß bietet, lässt es an Klasse vermissen. Das Metrum wird mächtig strapaziert, Wörter wie „Angst“ oder „Weg“ haben plötzlich ziemlich viele Silben, nicht nur einmal wird eine Zeile von Tigeryouth eben wiederholt, wenn die Strophe noch nicht komplett ist, aber die Textideen schon aufgebraucht sind.

Immerhin: Seinen (im Metier der im weitesten Sinne als Singer-Songwriter tätigen Künstler nicht gerade seltenen) Hang zur Egozentrik hat er zumindest erkannt. „Die Welt bleibt nicht stehen, nur weil ich das will“, gesteht er in Magdeburg. Mit Stein auf Stein gelingt ihm ein schönes Lied über die Einsamkeit, Mammon wirkt ein wenig, als wäre Casper über einen Song von Gisbert zu Knyphausen hergefallen und profitiert enorm von der begleitenden Stimme von Anne Michel (Hass auf Alles). Gleich sechs weitere Gastsänger gibt es übrigens auf Tigeryouth – zumindest ist dieser Hinsicht stimmt die Sache mit dem Egotrip dann doch nicht.

Das Video zu Mammon, offensichtlich Low Budget.

Tigeryouth bei Facebook.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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