Künstler | Tim Darcy | |
Album | Saturday Night | |
Label | Contributor | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
What’d You Release? heißt der vorletzte Track dieses Albums. Im Falle von Tim Darcy könnte die selbstbewusste Antwort lauten: zwei EPs und zwei Alben als Sänger und Gitarrist bei Ought, die unter anderem als „impassioned, thoughtful and thrilling“ (Q) oder „one of the most refreshing and inspiring rock records of the year“ (Exclaim) gelobt wurden.
Statt sich auf diesen Lorbeeren auszuruhen, hat er mit Saturday Night sein erstes Soloalbum gemacht, das übermorgen bei uns erscheint. Entstanden sind die Songs zur gleichen Zeit wie die Lieder auf Oughts aktuellem Werk Sun Coming Down, und das erklärt auch den Albumtitel: Tim Darcy wurde in diesen Tagen des Sommers 2015 ständig darauf angesprochen, was er denn neues produziert habe.
Wer bei so viel Output an einen rastlosen Geist denkt, liegt wohl nicht falsch: Darcy stammt aus Arizona, lebte dann in Colorado und New Hampshire, um schließlich in Montreal zu studieren (und seine Band zu gründen). Parallel zu Ought war er dort noch in etlichen anderen Formationen aktiv, und permanent schrieb er eigene Songs. Passend dazu ist Saturday Night ein ziemlich aufregendes Durcheinander – und zeigt in Texten und Sound in erster Linie einen Suchenden.
Der Start der Platte ist typisch: Tall Glass Of Water scheint zunächst noch recht eindeutig zu verorten zu sein, ist schnell und schmissig, natürlich geprägt von Tim Darcys nölender und zynischer Stimme. Dann erfolgt allerdings eine Verwandlung, die deutlichen Blues-Einfluss offenbart, eine fast gesprochene Strophe und provokanter Lo-Fi-Charakter – all das verweist dann unverkennbar auf The Velvet Underground.
Still Waking Up hingegen (mit der himmlisch-fiesen Zeile „Something tells me / that you’re still waking up alone / with too many years to plan“) wäre als Ballade eine großartige Nummer für Chris Isaak. Wenn Tim Darcy im schon erwähnten What’d You Release? statt der Gitarre das Klavier ins Zentrum rückt, wird eine Nähe zu Ezra Furman oder Rufus Wainwright erkennbar.
Joan Pt 1, 2 bekommt durch seinen simplen Beat, den altertümlichen Gitarrensound und viel Hall auf dem Gesang etwas Fifties-Flair, besonders am Ende, wenn das Schlagzeug aussetzt und die Stimme einen leidenden Roy-Orbison-Tonfall annimmt. You Felt Comfort braucht nur zwei Akkorde, weil es von der Überzeugung lebt, dass diese zwei Akkorde das ultimative Ausdrucksmittel für das hier beschriebene Gefühl sind. Das Ergebnis ist simpel und energisch wie Neil Young, an den hier die gesamte Ästhetik inklusive der Stimme denken lässt.
Zusammengehalten wird das einerseits durch den Gesang, der schon bei Ought gerne (und zutreffend) mit David Byrne verglichen wurde. Andererseits durch die Gitarre. Beispielsweise das instrumentale First Final Days zeigt: Tim Darcy ist jemand, der nichts so sehr liebt wie sein Instrument, diese Liebe aber nicht durch maximale Virtuosität zur Schau stellt, sondern durch ein fast naiv anmutendes Ausprobieren aller Möglichkeiten, die in einer Gitarre stecken können.
Auch der Titelsong (“Does a bush ever think, where do I grow to be seen?“, fragt er in Saturday Night) ist experimentell und atonal, basierend auf stoischem Beat, einem Chor und einer Gitarre, die eher gequält als gespielt wird und mit viel Feedback um Hilfe zu flehen scheint. In Saint Germain bleibt alles auf seine Weise zurückhaltend, trotzdem lodert eindeutig eine große Leidenschaft darin. Beyond Me, ebenfalls instrumental, bietet erneut faszinierende Gitarrenexperimente. Die Töne verschieben sich ineinander wie Wolkenformationen am Himmel. Und Found My Limit setzt auf ein freischwebendes Gitarrenpicking und verzerrten Gesang. So hätte es vielleicht geklungen, wenn Nick Drake den Versuch aufgegeben hätte, sich selbst mittels seiner Musik von der Schönheit der Welt zu überzeugen.