Künstler | Tinariwen | |
Album | Elwan | |
Label | Wedge | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Eine wichtige Begebenheit erzählen Tinariwen gerne, wenn es um das Zustandekommen von Elwan geht. Während einer ihrer unzähligen Tourneen (sie spielten 160 Shows innerhalb der letzten drei Jahre) lernten sie im Oktober 2014 die Rancho de la Luna Studios im kalifornischen Joshua Tree National Park kennen. Normalerweise ist das ein Tempel des Stoner Rock, auch PJ Harvey, die Foo Fighters, die Arctic Monkeys und Iggy Pop haben dort schon aufgenommen. Als die Afrikaner von Tinariwen dort Station machten, schneiten trotzdem mehrere Stammgäste des Studios herein und wollten spontan zusammen musizieren, etwa Matt Sweeny (der schon für Johnny Cash, Bonnie Prince Billy und Cat Power die Gitarre gespielt hat), Kurt Vile (ehemals War On Drugs), Alan Johannes (er hatte die ersten Platten der Queens Of The Stone Age produziert) oder Mark Lanegan.
Aus zweierlei Gründen ist diese Anekdote prägend: Erstens steht der Sound dieser Nomaden, die hier ihr achtes Album veröffentlichen und in ihren Bandmitgliedern mittlerweile zwei Generationen vereinen, für die ursprüngliche Kraft der Musik, für die Essenz der Idee, gemeinsam Klang, Rhythmus und Melodie hervorzubringen. So nah an der Kern ihres Schaffens kommen Musiker heute normalerweise nicht mehr, und genau deshalb sind Tinariwen so gefragte Session-Partner (auf dem 2011er Album Tassili hatten sie schon Mitglieder von Wilco und TV On The Radio als Gäste begrüßen dürfen).
Zweitens weckte der Aufenthalt in der kalifornischen Wüste intensive Heimatgefühle, die schmerzhaft waren nicht nur wegen der großen geografischen Entfernung, sondern auch durch das Wissen, dass zuhause die Situation so schlecht ist wie schon lange nicht mehr. Die Heimatregion von Tinariwen ist die Adrar des Ifoghas in der Sahara, in der Grenzregion zwischen dem nordöstlichen Mali und südlichen Algerien. Dort kämpfen in jüngster Zeit wieder Warlords.
Die Aufnahmen für Elwan (der Albumtitel heißt übersetzt „die Elefanten“, passenderweise ist das nicht als Metapher für eine bedohte Tierart gemeint, sondern für Lebewesen, die alles platt machen) konnten deshalb nicht am Stammsitz stattfinden, vielmehr wurde die Platte im März 2016 in M’Hamid El Ghizlane, einer Oase in Marokko, vollendet, basierend auf dem Material aus den Sessions in Kalifornien. Die Sorge um das Geschehen in der Heimat und das Wohlergehen der Daheimgebliebenen ist gleich in mehreren Songs hörbar. Nizzagh Ijbal ist nicht nur getragen, sondern fast schwermütig. Arhegh ad annàgh kommt wie schwebend daher, auch da scheint eine beträchtliche Trauer dahinter zu stecken.
Auch die Songtitel lassen keinen Zweifel an diesem Zusammenhang, zugleich wird beim Blick auf die Lieder, die am deutlichsten Bezug auf die kritische Situation in der nördlichen Sahara nehmen, deutlich, dass Tinariwen keinerlei Lust haben, die Zustände dort als gegeben hinzunehmen. Imidiwàn n-àkall-in (übersetzt: Freunde aus meinem Heimatland) wird extrem funky und energisch. Ténéré Tàqqàl (zu Deutsch: Was hat man bloß der Wüste angetan?) zeigt eine der größten Stärken der Band: Einzeln betrachtet wirkt alles beliebig, fast stümperhaft. Aber Tinariwen verstehen es, diese Elemente unnachahmlich zu verweben, bis eine geradezu magische Textur entsteht.
Auch Assàwt hat viel Energie, wird äußerst lebendig und zappelig. Hayati zeichnet eine große Geschlossenheit und Entschlossenheit aus. Atmosphäre ist ohnehin auf Elwan ein noch wichtigeres Element bei Tinariwen als ohnehin schon. Das reduzierte Ittus klingt geradezu intim. Nànnuflày wird geheimnisvoll und verschwörerisch, auch dank der Gaststimme von Mark Lanegan. Fog Edaghàn lebt von seiner großen Behutsamkeit, Talyat bleibt akustisch und entwickelt dadurch eine beinahe noch größere Wärme als der Rest des Albums.
Natürlich gibt es auch diesmal wieder die Symbiose aus tiefem Gefühl und frappierender Virtuosität, die man von Tinariwen kennt. Tiwàyyen ist im Kern ein Blues, wird aber angereichert durch die komplexen Percussions von Sarid und einen Harmoniegesang, der wie selbstvergessen klingt, und am Ende durch eine sehr kurze, aber extrem wirkungsvolle Beschleunigung. In Sastanàqqàm ist die Gitarre meisterhaft filigran, aber trotzdem nicht der Star in diesem Song, sondern im perfekten Gleichgewicht mit den anderen Instrumenten. Das ist letztlich die Kunst, die diese Band so grandios beherrscht, die ihr so viele Fans in aller Welt eingebracht hat und die dazu führt, dass auch so viele Musikerkollegen zu ihren Bewunderern zählen: Ihre Musik hat eine Einzigartigkeit und einen Wiedererkennungswert, den wenige Bands erreichen, erst recht in diesem Genre. Sie klingt nicht irgendwie nach Weltmusik oder irgendwie afrikanisch, sondern unverkennbar nach Tinariwen.