Hingehört: TV On The Radio – „Seeds“

Künstler TV On The Radio

Nach diversen Nebenprojekten finden TV On The Radio problemlos wieder in den Bandmodus.
Nach diversen Nebenprojekten finden TV On The Radio problemlos wieder in den Bandmodus.
Album Seeds
Label Harvest
Erscheinungsjahr 2014
Bewertung

Als typische New Yorker Band wurden TV On The Radio kürzlich im FAZ-Magazin bezeichnet. Die Hochglanz-Postille stellte auf etlichen Seiten den angeblich maßgeblichen Sound einiger US-Städte vor, die passenden Attribute zum Big Apple lauteten dabei beispielsweise „hart“, „nervös“, „smart und cool“ oder „wie polierter schwarzer Granit“. Natürlich trifft das alles tatsächlich auf die Musik von Kyp Malone, Tunde Adebimpe, Dave Sitek und Jaleel Bunton zu, auch auf ihrem gerade erschienenen fünften Album Seeds.

Die Vereinnahmung hat allerdings einen Haken: Aufgenommen wurde die Platte nämlich nicht in New York, sondern an der gegenüberliegenden Küste der Vereinigten Staaten, im Heimstudio von Dave Sitek in Beverly Hills. Als der Ort, an dem der Mythos vom sonnigen, glamourösen American Way Of Life mit seinem eigenen schmutzigen Gegenbild verschmilzt, wird Kalifornien in der FAZ-Beilage dargestellt, und auch diese Charakteristika lassen sich in der Musik von TV On The Radio mühelos wieder finden. Verwirrend.

Man darf diese Art von Durcheinander durchaus als typisch betrachten. Mit Malone, Adebimpe und Sitek gibt es in dieser Band gleich drei Songwriter mit einer jeweils ganz eigenen Handschrift. Das Cover von Seeds zeigt rätselhafte, sich überlagernde Formen. Und die Musik schafft es immer wieder, klassische Motive wie den Sixties-Surf-Sound in Could You mit hochmodernen, innovativen Formen wie in Test Pilot zu vereinen.

Der Hintergrund im Opener Quartz (wohl ein Abschied an einen Verstorbenen) klingt irgendwie indianisch, der Vordergrund ist kaum definierbar, so groß ist hier die Vielfalt an Stimmen und Rhythmusgeräten. Happy Idiot lässt erahnen, wie eine Kombination aus den Strokes und Zoot Woman klingen könnte. Das äußerst gelungene Ride ist vergleichsweise straight, Right Now wird erstaunlich funky, am Ende lässt Seeds erkennen, wie die Zukunft klingen wird – zumindest für all diejenigen, die als entschlossene Optimisten die Zukunft durch eine rosarote Brille betrachten wollen.

Auffällig ist erstens, wie problemlos TV On The Radio nach diversen Nebenprojekten und dem Tod von Bassist Gerard Smith im Jahr 2011 (er hatte auf dem Vorgänger Nine Types Of Light noch mitgewirkt) wieder in den Kontext als Quartett finden. Ein Ende der Band stand nie zur Debatte, betont Sänger Kyp Malone: „Das wäre irgendwie feige. Eben, als ob man seine besten Kumpels im Stich lässt, nur weil man eine junge, heiße Braut kennengelernt hat.“

Zweitens stand seine Stimme bei dieser Band vielleicht noch nie so sehr im Fokus wie hier. In Tracks wie Love Stained ist sie eindeutig das Zentrum und der Anker – egal, wie komplex das Rundherum ist. In Lazerray (bei dem Kelis im Hintergrund singt) klingt sie sogar, als sei das Rumpelstilzchen als neuer Sänger bei den Queens Of The Stone Age eingestiegen, und zwar verkleidet als Lenny Kravitz. Winter (geschrieben mit Kathryn Guerra, die auch mitsingt) setzt neben dieser Stimme zunächst nur auf eine E-Gitarre und einen denkbar einfachen Drum-Beat, klingt aber trotzdem kein bisschen wie prototypischer Rock’N’Roll, sondern futuristisch.

Drittens verströmt Seeds einen Optimismus, den man bisher kaum von TV On The Radio kannte. „Everything’s gonna be okay“, heißt eine zentrale Zeile im beinahe zurückhaltenden Trouble, viele vergleichbare Stellen durchziehen die gesamte Platte. Natürlich kann man dem nie ganz über den Weg trauen, schließlich bewahrt sich die Band hier auf meisterhafte Weise die eingangs erwähnte Unberechenbarkeit. Seeds klingt immer, als würde irgendetwas fehlen, nicht an der richtigen Stelle sitzen oder eigentlich in ein ganz anderes Lied gehören. Oder in eine andere Stadt.

Vollgas !? Das Video zu Happy Idiot.

https://www.youtube.com/watch?v=bvCgff7oNKM

Homepage von TV On The Radio.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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