Künstler | Viktor & The Blood | |
Album | Apocalypse Right Now | |
Label | Warner | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Meine Kenntnisse des Nachtlebens in Stockholm sind nicht allzu profund. Ich weiß, dass man Mittsommer vergessen kann (da feiern die Schweden entweder in Familie oder auf dem Land, meistens beides zugleich), dass man bei schönem Wetter am besten in den Trädgården geht, dass man lieber keine Turnschuhe trägt, weil man sonst in manche Läden nicht reinkommt, dass man niemanden unter 21 dabei haben sollte (aus demselben Grund), dass die Aftershow-/Chillout-Party gerne mal im Wald am Stadtrand steigt und dass man auf jeden Fall reichlich Bares einpacken sollte angesichts der Getränkepreise.
Und noch etwas habe ich dort gelernt: Heavy Metal und Hardrock sind bei uns Außenseitermusik, stigmatisiert und uncool, weit weg vom Rest der normalen Ausgehkultur. In Schweden ist das anders. Im vergangenen Sommer habe ich einen Club in der Innenstadt von Stockholm erlebt, in dem hinten David Guetta lief und oben irgendwelche Ü40-Musik, während vorne ein Karaoke-Abend stattfand. Sehr viele blonde, ansonsten bürgerlich aussehende Männer haben dort lauthals die Lieder von Iron Maiden oder Judas Priest gesungen (egal, ob sie gerade ein Mikro in der Hand hatten oder einfach bloß das Publikum waren) und mächtig gefeiert, um danach in irgendeinen Technoschuppen oder einen Schickimicki-Laden wie das Berns zu gehen. Das zeigt: Hardrock ist für die Schweden einfach ein Genre, kein No-Go.
Das ist ein wichtiger Hintergrund für das Debütalbum von Viktor & The Blood. „Wir sind das einzige Trio in ganz Europa, das richtig harten Rock spielen kann, ohne deshalb nach Metal zu klingen. Jedenfalls hoffen wir das“, haben die drei Jungs im Interview mit mir geantwortet, als ich sie nach ihrer Existenzberechtigung gefragt habe. Für das heute erscheinende Apocalypse Right Now versprechen Viktor Norén (Gesang), Jonas Karlsson (Gitarre, ehemals Sugarplum Fairy) und Samuel Giers (Schlagzeug, ehemals Mando Diao) „kompromisslosen Rock mit harten Kanten“. Und das ist kein bisschen ironisch gemeint.
„I fell in love to the beat of a drum“, heißt die erste Zeile, umrahmt von einem tatsächlich mächtigen Schlagzeug, einem Guns’N’Roses-Riff und reichlich Billy-Idol-Genen. Man erkennt sofort, wie sehr alle drei Mitglieder es genießen, dass sie sich nun richtig austoben können in ihrem Metier, in dem jeder für ein paar Sekunden pro Lied der Star sein kann. Der Song dazu heißt The Weight Of Love, fährt im hymnischen Refrain gleich einen „Ohoho“-Chor auf und ist auch sonst genau die Sorte Musik, zu der man Fäuste in die Luft recken und Haare schütteln kann.
Es gibt etliche Momente auf Apocalypse Right Now, in denen man die Chuzpe kaum glauben mag, mit der Viktor & The Blood hier die Blütezeit des Hair Metal wieder auferstehen lassen. Don’t Drag Me Down (When You’re Falling Apart) klingt in der Strophe wie eine Metallica-Ballade, bietet dann ein brachiales Break und schließlich eine Refrain, für den Aerosmith töten würden. Not Worth A Second Of My Time ist die pure Arroganz, ebenfalls mit einem ultraharten Riff, aber einem Refrain, der eher an Bon Jovi denken lässt. Live For A Better Day ist dann sogar eine herrlich überkandidelte, Achtung!, Powerballade.
Auch ein Lied wie Sabotage Ya ist anno 2014 kaum zu fassen: Viktor Norén muss man hier eindeutig „Shouter“ nennen, die Gitarre ist aggressiv, das Schlagzeug außer Rand und Band, und dazu gibt es einen Text voller SM-Anspielungen, wie sie Alice Cooper schon vor 40 Jahren geliebt hat: „50 Shades Of Grey / will seem like soft porn foreplay“, heißt eine Zeile. Uff.
Die Geschmackspolizei könnte wohl einige Anklagepunkte gegen Viktor & The Blood ermitteln (und für einen peinlichen Song wie Let It Die wäre auch wirklich eine kleinere Sanktion angebracht), aber das Trio hat zwei entscheidende Vorteile. Erstens: Sie mögen die Pose, aber sie mögen Gott sei Dank auch Melodien, Refrains, Hits. Der Rausschmeißer The Unbreakables, noch eine Powerballade wie sie im Buche steht, ist ein Beweis dafür.
Zweitens: Das von Jacob Hellner (Rammstein) produzierte Album lässt zwar gelegentlich an die Ära von Poison, Def Leppard oder Skid Row denken, beweist aber auch, welchen Einfluss diese Acts hatten und wen sie mit ihrem Sound – bewusst oder unbewusst – alles geprägt haben, von Kasabian bis Biffy Clyro, die hier wiederholt durchklingen. Boys Are In The City beispielsweise, so etwas wie das ureigene Halali von Viktor & The Blood, könnte man sich auch gut von Mando Diao vorstellen (keine der Ex-Bands wird übrigens beim „Thank you“ im Booklet erwähnt). Kicks Out On A Saturday Night propagiert im Stile von Jet das Feiern, als ob es kein Morgen gäbe, mit geilem Groove, toller Melodie und natürlich einem angeberischen Gitarrensolo. Firefighter vereint Bubblegum und Härte wie das sonst nur The Sounds können (mit denen Viktor & The Blood bereits auf Tour waren). Und auch die anderen Songs unterstreichen: Viktor & The Blood spielen dieses Genre nicht bierernst, aber mit Können und Überzeugung.
Viktor & The Blood spielen Sabotage Ya live:
httpv://www.youtube.com/watch?v=cwbQf5aXylI