Künstler | Wanda | |
Album | Niente | |
Label | Vertigo | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Ich weiß nicht genau, was 1980 in den Europasound-Studios in der Nähe von Offenbach passiert ist, nachdem Peter Cornelius dort sein Album Zwei (unter anderem den später von Bernhard Brink gecoverten Single-Hit Du entschuldige – i kenn‘ di enthaltend) im Kasten hatte. Aber höchstwahrscheinlich liefen die Ereignisse so ab: Jemand jagte den Österreicher und seinen Produzenten Michael Cretu heraus, warf zentnerweise Tapezierfolie über die gesamte Inneneinrichtung und versiegelte dann die Tür. Nie mehr wurde sie geöffnet. Alles wurde aufbewahrt, nichts wurde verändert, niemand durfte hinein – wie im Zimmer eines verstorbenen Kindes, über dessen Tod die traumatisierten Eltern nicht hinweg kommen. Bis Wanda einen Sound für ihr drittes Album Niente brauchten. Marco Wanda (Gesang), Manuel Poppe (Gitarre), Christian Hummer (Klavier), Reinhold Weber (Bass) und Lukas Hasitschka (Schlagzeug) brachen das Siegel und machten genau da weiter, wo ihr Landsmann einst aufgehört hatte.
In der Tat klingt Weiter, weiter, der Auftakt des Albums, genau so, als habe jemand den Sound und das Equipment von damals konserviert. Nicht „Weiter, weiter“ heißt das Motto, es müsste vielmehr eigentlich „Rückwärts, rückwärts“ lauten. Das ist vielleicht nicht allzu verwunderlich in Zeiten eines weiterhin grassierenden Eighties-Revivals. Schockierend ist allerdings, wie sehr sich „die vielleicht letzte wichtige Rock’n’Roll-Band unserer Generation“ (Musikexpress) nicht nur in der Ästhetik, sondern auch in ihren Inhalten auf Niente einem Sound annähert, der mit so gefährlichen Begriffen wie „angenehm“, „behaglich“ und nicht zuletzt „Schlager“ assoziiert ist. Wanda kokettieren zwar mit Nonkonformismus im Lebenswandel, aber ihre Musik könnte auf dem dritten Album kaum spießiger sein.
Auch der zweite Song Columbo verbreitet vor allem diese Heimeligkeit. „Am Ende fällt Columbo etwas ein“, heißt die Zeile, auf die der Erzähler seine Hoffnungen setzt. Man muss sich bei einem solch seichten Sound fragen: Für welches Problem soll er eigentlich die Lösung finden? Wen soll er woraus retten? Die Antwort lautet vielleicht: Wanda aus ihrer selbst verschuldeten Langeweile. Einfacher Bua kokettiert mit ein bisschen Orientierungslosigkeit, allerdings zu einem Sound wie von Smokie. Wenn lieb sein, wie es der Text von Lieb sein behauptet, so schwer ist, warum klingt auch dieser Song dann so verdammt aalglatt? „Wie schön das wär’ / wenn alles anders wär’ / wenn alles langsam wär’“, reimt Marco Wanda, und wer solcherlei Flucht vor der Konfrontation, die man auf Niente immer wieder findet, für Rock’N’Roll hält, hat etwas ganz gewaltig nicht verstanden. Die Welt geht vor die Hunde, aber machen mers uns a bisserl gmütlich – dass Wanda mit diesem Prinzip so viel Erfolg haben, ist in vielfacher Hinsicht erschreckend.
Produzent der Platte ist, wie schon bei den beiden Vorgängern, Paul Gallister. Er lässt Gitarreneffekte den Sound dominieren und gibt dem Bass recht viel Raum, der oft mit originellen Ideen aufwartet und Reinhold Weber als einziges Mitglied von Wanda ausweist, das so etwas wie überdurchschnittliches Talent zu haben scheint. Die Texte von Niente erinnern derweil an das Spiegelkabinett im Prater, durch das Wanda im Video zu Lascia mi fare irren: Alles ist verwirrend, hin und wieder schimmert etwas Spannendes auf, in Summe ist das aber vor allem Blendwerk, das nur dann wirklich Reiz entwickelt, wenn man bereit ist, seinen Verstand auszuschalten. Der dazugehörige Song (zu Deutsch „Lass mich machen“) bietet endlich mal eine richtig gute Melodie und sogar eine Zeile, die vielleicht wieder Rainald Goetz gefallen wird: „Wir werden die besten einsamen Menschen aller Zeiten sein.“
Das ansonsten dominierende Thema der Platte ist Nostalgie, insbesondere die Erinnerung an unbeschwerte Kindertage. Das Ende der Kindheit heißt einer der Songs, übrigens einer der wenigen, die nicht nach Pose und halbherzig unterdrücktem Zynismus klingen. Auch 0043 behandelt dieses Thema und entwirft ein Idyll mit Zutaten von dem, was Wanda wohl unter Psychedelik verstehen. „Vor 20 Jahren / als wir Kinder waren“ ist das Geschehen von Wenn du schläfst verortet, auch im mit Streichern angereicherten Schottenring blickt Marco Wanda auf die Kindheit.
Nicht nur da fragt man sich, ob er den vermeintlichen Sinn solcher Texte wenigstens selbst erkennt. In den meisten Fällen wirken die von ihm aneinandergereihten Wörter eher wie blasierte Pseudo-Poesie. Das ist das Kernproblem von Wanda: Ihre Musik klingt an der Oberfläche, als sei sie bedeutend, als könne man sich damit identifizieren, als sage sie etwas Wichtiges über unser Leben und unsere Welt. Aber bei genauerer Betrachtung erweist sie sich als hohl, und von einer genaueren Betrachtung (etwa des Lebens oder unserer Welt) schrecken Wanda deshalb auch zurück, genau wie vor einer Positionierung dazu. Ebenso wie beim angeblichten Rock’N’Roll-Lifestyle der Österreicher gilt auch hier: Inhalt und Attitüde passen kein bisschen zusammen.
Ein letztes Winterlied bestätigt diesen Eindruck, auch wenn die Vorlage zum Text vom 1950 verstorbenen Theatermann Kurt Robitschek stammt. In der Version von Wanda ist das affektierter, eitler, unerträglicher Scheiß. Auch Café Kreisky bleibt im Ungefähren und ist damit zwar nicht ohne Reiz, aber bei weitem nicht so besonders, dass es solch eine Karriere verstehen lassen könnte wie die von Wanda: Amore (2014) hielt sich 102 Wochen in den österreichischen Albumcharts, Bussi (2015) stand dort vier Wochen auf Platz 1, für Niente ist Platin schon sicher, zudem spielte das Quintett drei Jahre lang unzählige ausverkaufte Konzerte.
Der Album-Schlusspunkt Ich sterbe ist vielleicht Schlüssel zur Erklärung ihres rätselhaften Appeals. Das Lied könnte (neben ekelhaft gefälligem Schunkel-Rhythmus) durchaus auch ein Geheimnis haben. Aber zur Kunst gehört nicht nur, solch ein Geheimnis in ein Werk zu packen, sondern auch Indizien und Anhaltspunkte für dessen Dechiffrierung zu bieten. Sonst ist es keine Kunst, sondern Scharlatanerie.
Nachts im Prater spielt das Video zu Lascia mi fare.
Im Frühjahr gibt es Konzerte von Wanda.
12.03.2018 Würzburg, Posthalle
13.03.2018 Wiesbaden, Schlachthof
15.03.2018 Hannover, Capitol
16.03.2018 Köln, Palladium
17.03.2018 Berlin, Max-Schmeling-Halle
20.03.2018 München, Zenith (ausverkauft)
21.03.2018 Dortmund, Phoenixhalle
23.03.2018 Lingen, Emsland Arena
24.03.2018 Hamburg, Sporthalle
01.04.2018 Zürich, Halle 622
03.04.2018 Fürth, Stadthalle
04.04.2018 Stuttgart, Beethoven Saal
07.04.2018 Wien. Stadthalle
11.04.2018 Ravensburg, Oberschwabenklub
13.04.2018 Leipzig, Haus Auensee