Künstler | Woman | |
Album | Happy Freedom | |
Label | Jakarta | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Angeblich besteht er aus Metall, ist innen fest, außen flüssig und vereint etwa ein Drittel des gesamten Gewichts unseres Planeten in sich. Das ist zumindest die Vorstellung, die in den Geowissenschaften vom Erdkern entwickelt wurde. Woman wissen es besser, wie man auf dem Cover ihres ersten Albums Happy Freedom erkennen kann: Dort sieht man unseren Planeten, aus dem jemand wie bei einem Pfirsich ein Viertel herausgeschnitten hat, sodass hier der Kern zum Vorschein kommt. Und dieser Kern ist eine Discokugel.
Viel deutlicher könnten Carlos Hufschlag, Milan Jacobi und Manuel Tran das Zentrum ihres kreativen Kosmos‘ nicht machen: Das Debüt der drei Kölner ist tanzbar, schillernd und ästhetisch den Zeiten eng verbunden, in denen die Discokugel heller strahlte als jemals zuvor oder danach.
Spannende Percussions prägen Dust zum Auftakt der Platte, die Grundstimmung bleibt aber eher elektronisch gediegen wie etwa bei Zoot Woman. Das folgende Marvelous City wird von einem Trip-Hop-Beat getragen; der Track bleibt abstrakt, wird aber trotzdem erhebend und packend. In Concrete Jungle sorgt erst der zurückhaltende Gesang für Spannung, dann im Refrain eine satte Dosis Discofunk. Das Ergebnis klingt, als hätten Spandau Ballet plötzlich ein soziales Gewissen entwickelt.
Denn in der Tat greifen Woman, wenn auch auf eher harmlose Weise, in ihren Texten immer wieder aktuelle gesellschaftliche Probleme auf. „Was vielen Pop- und Electronic-Platten heute komplett fehlt, ist eine Aussage“, hat Carlos Hufschlag erkannt. Mit Songs wie dem düsteren, von einem fiesen Bass dominierten Kung Bu (Terror) will die Band, die schon vor fünf Jahren ihr erstes Konzert spielte, dem etwas entgegen setzen.
Gemeinsam mit Produzent Zebo Adam (Bilderbuch) gelingt es so durchaus, ein Alleinstellungsmerkmal zu entwickeln. Das besteht aber nur an zweiter Stelle aus den halbwegs engagierten Texten von Woman. Noch wichtiger bleiben hier immer Beat und Groove, sei es in Love Money, das auf spannende Weise reduziert und gebrochen ist, oder in NYD mit seinem sehr warmen Orgel-Grundton, der erahnen lässt, wie es klänge, wenn Hercules & Love Affair nur noch Balladen machen würden.
In 2072 gibt es über weite Strecken fast nur Klavier und Gesang, am Ende wird der Song allerdings deutlich üppiger, sodass tatsächlich etwas wie Arcade-Fire-Dramatik entsteht. Der Album-Schlusspunkt The End wird episch und emotional wie die schönsten Momente von Röyksopp. Der beste Song von Happy Freedom ist allerdings das meisterhafte Control. So könnte es klingen, wenn Michael Jackson alle Fehler seiner Karriere löschen und mit den Möglichkeiten des Jahres 2017 noch einmal von vorne anfangen könnte.