Hingehört: Xiu Xiu – „Plays The Music Of Twin Peaks“

Künstler Xiu Xiu

Plays The Music Of Twin Peaks Xiu Xiu Kritik Rezension
Die Annäherung an Twin Peaks von Xiu Xiu gab es erst live, jetzt auch als Tonträger.
Album Plays The Music Of Twin Peaks
Label Bella Union
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

Die Fans von David Lynch gelten als mindestens so obsessiv wie die legendären Filmfiguren des Regisseurs. Jamie Stewart und Angela Seo alias Xiu Xiu hätten sich also eine Menge Ärger einhandeln können. Für die 2015er Ausstellung „David Lynch: Between Two Worlds“ in der Gallery of Modern Art in Queensland/Australien wagten sie sich an ihre eigene Interpretation der Musik aus seinen Filmen. Für viele Freunde von Lost Highway & Co. sind das heilige Töne – und Xiu Xiu mit ihrer Vorliebe für das Destruktive und Schockierende wären auf den ersten Blick ideale Kandidaten gewesen, um das eine oder andere Sakrileg zu begehen und sich die David-Lynch-Ultras für alle Zeiten zu Feinden zu machen.

Doch nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil: Die Bearbeitung des Twin Peaks-Soundtracks wurde zur Erfolgsgeschichte. Zuerst brachten Xiu Xiu ihre Versionen nach der Premiere im Museum mit einer Konzertreise um die Welt, dann erschien zum Record Store Day ein Tonträger in limitierter Auflage, nun gibt es das Werk sogar als reguläre Veröffentlichung. Es zeigt sich: Xiu Xiu gehen ambitioniert, aber sehr respektvoll mit den Vorlagen um. Plays The Music Of Twin Peaks ist im Vergleich mit dem oft gewagten bisherigen Werk der Band sogar vergleichsweise leicht zu konsumieren.

Denn natürlich erweist sich gerade die Neigung des Duos zum Extrem, zum Anders- und Abartigen als genau richtiger Charakter für die Begegnung mit dieser Filmmusik. “Not only do they capture the haunted spirit of the show, they also provide Xiu Xiu fans with one of their strongest releases… Bold and ominous, propulsive and mysterious”, hat Pitchfork ganz treffend erkannt. The Quietus hat sogar eine Empfehlung an den Meister selbst aus diesem Album abgeleitet: “If I were David Lynch, putting the finishing touches on the forthcoming Twin Peaks season, I’d be tempted to reach for the phone and get onto Xiu Xiu for some soundtracking duties.”

Man kann dieses Lob leicht nachvollziehen. Laura Palmer’s Theme steht am Beginn des Albums und klingt mit seinem dominanten Klavier fast wie klassische Musik. Nightsea Wind bietet ein unbestimmtes Brodeln, Harold’s Theme setzt auf ein gespenstisches Leitmotiv und viel Hall, der Dance Of The Dream Man bleibt vollkommen abstrakt. Xiu Xiu haben sehr genau erkannt, dass diese Songs, ursprünglich komponiert von Angelo Badalamenti, gerade von den Lücken und vom Ungesagten leben, und entsprechend dezent gehen sie hier zu Werke. Das vielleicht beste Beispiel ist Falling, einst der Hit aus diesem Soundtrack: Diese unnachahmliche Melodie macht auch hier sofort Gänsehaut, dann schwelgt der Song genüsslich darin.

Nur selten wird Plays The Music Of Twin Peaks so rabiat, wie man das sonst von Xiu Xiu gewohnt ist. Packard’s Vibration scheint erst bloß Geplänkel zu sein, dann platzt eine aggressive Gitarre herein. Auch Blue Frank/Pink Room kann man durchaus „Rock“ nennen, und zwar lärmend und biestig. Sycamore Tree besticht mit einem schmerzhaft reduzierten Klavier und einer Stimme, die nicht bloß leidend ist, sondern im Kampf mit der ganzen Welt und sich selbst.

Into The Night hat nicht nur eine vergiftete E-Gitarre zu bieten, sondern ebenfalls eine dieser Geisterstimmen: Sie singt wie auf dem Totenbett, oder vielleicht sogar wie auf dem OP-Tisch des Gerichtsmediziners, während die Autopsie bereits läuft. Es wäre der größte Horror-Moment des Albums, wäre da nicht der Schlusspunkt Josie’s Past: Eine Frau spricht darin über sexuellen Missbrauch, die Musik dazu ist fast noch gruseliger.

Auch das trägt erheblich zum Charakter des Albums bei, der zwischen Magie, (Alb-)Traum und Halluzination changiert. Plays The Music Of Twin Peaks schafft es, zugleich dem Original zu huldigen und die eigenen Stärken von Xiu Xiu perfekt zur Geltung zu bringen.

So klang die Weltpremiere in Queensland.

Website von Xiu Xiu.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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