Künstler | Air | |
Album | Le Voyage Dans La Lune | |
Label | Virgin | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Bewertung |
Der Mond? Da war doch was? Sehr richtig: Mit Le voyage dans la lune schließt sich für Air ein Kreis – und zwar gleich in zweifacher Hinsicht. Erstens hatten sie ihr Debütalbum, in offensichtlicher thematischer Verwandtschaft, Moon Safari genannt. Kein Wunder, dass Nicolas Godin und Jean-Benoit Dunckel dann zusagten, als sie gefragt wurden, ob sie nicht einen Soundtrack für Le voyage dans la lune machen wollten. Der Film von Georges Méliès aus dem Jahr 1902 ist nur eine runde Viertelstunde lang, aber der erste Science-Fiction-Film überhaupt, und bei den Filmfestspielen in Cannes im vergangenen Jahr wollte man eine aufwendig restaurierte Farb-Version des Klassikers präsentieren, mit der Musik von Air.
Zweitens zeigt Le voyage dans la lune mehr als alle anderen Alben in der Geschichte des Duos einen Charakterzug, der bei Air gerne übersehen wird: Die Franzosen werden gerne für Avantgarde gehalten, aber eigentlich sind sie Hippies. Ihre Musik verhält sich zu dem, was heute modern ist, wie Jules Verne zu Bruce Sterling.
Passend dazu entschlossen sich Air, nachdem sie die Filmmusik für Le voyage dans la lune abgeliefert hatten, aus dem Material ein ganzes Album zu machen. „Le voyage dans la lune is undoubtedly more organic than most of our past projects. We wanted it to sound ‚handmade,‘ knocked together’, a bit like Méliès‘ special effects. Everything is played live … like Méliès‘ film, our soundtrack is nourished by living art“, erklärt Nicolas Godin die Arbeitsweise.
Sevens Stars klingt dann tatsächlich wie aus einer Jamsession hervorgegangen. Parade scheint sich ein paar Gitarren aus dem Maschinenpark der Strokes zu leihen und ist auch sonst beinahe Rock. Durch das treffend betitelte Sonic Armada kämpft sich scheinbar ein Zahnarztbohrer zu einem TripHop-Beat, und um das Ganze noch ein bisschen irrer zu machen, kommen eine gute Dosis Blur (zur Think Tank-Zeit), zwei Scheffel der Narrenfreiheit, mit denen die Beastie Boys ihre Funk-Instrumentals spielen, und ein Orgelsolo hinzu, das Helge Schneider in puncto Verrücktheit und Improvisation in nichts nachsteht. Dazwischen gibt es immer wieder Skizzen mit viel Klavier und etwas Orchester wie Moon Fever oder Décollage.
Das Ergebnis ist damit mal nahe an 10.000 Hz Legend, dem bisher muskulösesten Album von Air, und ihrem Soundtrack zu The Virgin Suicides. Die Filmelemente sind auch ohne die Bilder von Méliès unverkennbar. Astronomic Club gleich am Beginn des Albums legt sofort mit Pauken und Trompeten (im Wortsinne) los und klingt wie ein James Bond-Theme, das von R2D2 gespielt wird. Gegen Ende verbindet Cosmic Trip so etwas wie radioaktive Regentropfen mit einem sehr robusten Rhythmusfundament, der Rausschmeißer Lava paart Flöten-Opulenz mit Western-Atmosphäre.
Nur zweimal wird wirklich gesungen. Als Gäste vermischen Au Revoir Simone im geisterhaften Who Am I Now? sehr effektvoll Französisch und Englisch. Victoria Legrand (Beach House) vergeht in Seven Stars vor Sehnsucht nach den Sternen (oder ihrem Liebsten, der auf dem Weg dorthin ist). Auch diese beiden Tracks zeigen, was bei Air eigentlich schon immer im Mittelpunkt stand: die Freude an der Melodie, am Rhythmus, auch an einzelnen Sounds. Le voyage dans la lune ist der beste Beweis: Air sind Träumer, Könner und durchaus auch Traditionalisten – und ihre Musik ist die Science Fiction von vor 100 Jahren.
Méliès in Farbe und Air im Improvisationsmodus mit Parade: Ein Ausschnitt aus Le voyage dans la lune:
httpv://www.youtube.com/watch?v=38YVp3fYxvM
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