Künstler | Allo Darlin‘ |
Album | Europe |
Label | Fortuna Pop |
Erscheinungsjahr | 2012 |
Bewertung | **** |
Keine Frage: Europa, das ist momentan kein allzu beliebtes Konzept. Die einen fragen sich dabei, warum sie die Schulden irgendwelcher Taugenichtse bezahlen sollen. Die anderen haben keine Lust, sich ihre Politik vorschreiben zu lassen von Leuten, die noch mehr Schulden haben. Und womöglich gibt es sogar noch ein paar Leute, die bei „Europe“ zuerst an schwedischen Hairmetal denken.
Allo Darlin’ aus London haben ihr zweites Album nun trotzdem Europe genannt. Warum, das verraten sie nicht. Aber es wird zumindest zwischen den Zeilen deutlich. In ihren Texten kommen Orte wie Berlin, Schweden und England vor. Der Titelsong stellt die Gretchenfrage der aktuellen Weltpolitik „How do you feel about Europe?“ und klingt dann tatsächlich so, wie man sich Europa wünscht: voller Tatendrang und Zuversicht, mit Gespür für seine Tradition, einer unspießigen Bodenständigkeit und wie ein überzeugendes, in sich schlüssiges Ganzes.
Das ist prototypisch für das gesamte Album. Neil Armstrong vereint am Beginn der Platte Byrds-Jangle und ein REM-Gefühl. Der Refrain ist unerschütterlich optimistisch (also so etwas wie das Italien der Eurokrise), der stoische Bass sorgt für veritablen Druck (übernimmt also die Rolle von Wolfgang Schäuble).
Capricornia klingt wie die frühen Bangles oder die Pipettes auf einem Nashville-Trip und mündet in einem feurigen Finale. „And I keep having these dreams“, wiederholt Sängerin Elizabeth Morris (die übrigens aus Australien stammt) immer wieder, und man muss sich bei einem so schönen Lied sicher sein, dass das, wovon sie träumt, nicht allzu weit entfernt sein kann.
Im grandiosen Tallulah singt sie nur zur Ukulele, so dass man an SoKo denken muss, auch wegen toller Texte wie diesem: „I’m wondering if I already heard all the songs that mean something / and I am wondering if I already met all the people that mean something.“ Ganz ähnlich gelagert ist der Rausschmeißer My Sweet Friend, sehr zurückhaltend und extrem charmant.
Als “terrific, witty and heartfelt, like a less moody Belle & Sebastian” hat die New York Times die Musik von Allo Darlin’ beschrieben, und da steckt viel Wahrheit drin. Manchmal klingt das Quartett auch wie eine besser gelaunte Version der Cranberries, etwa im schmissigen Northern Lights mit dem Versprechen: „This is the year we’ll make it right.“
Some People Say hat bezaubernden Gesang zu bieten und ist mit Streichern, Slide-Gitarre und nett stolperndem Schlagzeug toll arrangiert. The Letter ist ebenso mitreißend wie elegant und souverän, das folgende Still Young beginnt ganz schamlos mit genau dem gleichen Gitarrenriff, mit dem The Letter aufgehört hat, und kommt dank seines irren Drives problemlos damit durch.
Wunderbar warm und organisch ist Wonderland geworden, mit dem Allo Darlin‘ die Grundstimmung von Europe gut zusammenfassen. „Feels like the world is ending / and I’m with you and I don’t care“, heißt eine Zeile daraus, und dieser Optimismus im Angesicht der Katastrophe hat hier vielen Liedern seinen Stempel aufgedrückt. “I wanted to make beautiful songs and end up with a beautiful album, not necessarily an album full of three minute pop songs. I suppose the songs have an awareness of a darker place but end up coming out the other side”, erklärt Elizabeth Morris. “We wanted to make the best album we possibly could and I think we’ve ended up with that”, ergänzt sie stolz – man kann da nur zustimmen.
Die Alte Welt ist ein leeres Wohnzimmer, jedenfalls im Video zu Capricornia:
httpv://www.youtube.com/watch?v=hGrnXEBq3QE