Künstler*in | Belle And Sebastian | |
Album | Fold Your Hands Child, You Walk Like A Peasant | |
Label | Jeepster | |
Erscheinungsjahr | 2000 | |
Bewertung |
„Wie verwahrt sich aber der Künstler vor den Verderbnissen seiner Zeit, die ihn von allen Seiten umfangen? Wenn er ihr Urteil verachtet. Er blicke aufwärts nach seiner Würde und dem Gesetz, nicht niederwärts nach dem Glück und nach dem Bedürfnis. Gleich frei von der eitlen Geschäftigkeit, die in den flüchtigen Augenblick gerne ihre Spur drücken möchte, und von dem ungeduldigen Schwärmergeist, der auf die dürftige Geburt der Zeit den Maßstab des Unbedingten anwendet, überlasse er dem Verstande, der hier einheimisch ist, die Sphäre des Wirklichen; er aber strebe, aus dem Bunde des Möglichen mit dem Notwendigen das Ideal zu erzeugen. Dies präge er aus in Täuschung und Wahrheit, präge es in die Spiele seiner Einbildungskraft und in den Ernst seiner Taten, präge es aus in allen sinnlichen und geistigen Formen und werfe es schweigend in die unendliche Zeit.“
Dies fordert kein geringerer als Friedrich Schiller (in seinem neunten Brief über die ästhetische Erziehung des Menschen), und Belle And Sebastian werden seinen Ansprüchen fast gerecht. Ihren Auftritt bei Top Of The Pops machten sie zur skandalösen Faschingsveranstaltung, auch dem Brit Award, den sie 1999 als „Best Newcomer“ erhielten, begegneten sie skeptisch bis feindselig.
Die Schotten verachten deshalb nicht die Zeit, in der sie leben, aber sie erleben sie als unvollkommen. Sie kapseln sich ab, um sich zu schützen, und senden aus ihrem Mikrokosmos dann Momente der perfekten Schönheit in die Welt. Sie sitzen zwischen allen Stühlen, schweben außerhalb der Zeit und stehen über den Dingen.
Beim Opener I Fought In A War kann man sich das geradezu bildlich vorstellen: Man sieht Stuart Murdoch genau vor sich, in einer viel zu groß geratenen Uniform, wie er über das Schlachtfeld stolpert, nicht verstehend und nicht fassend, was dort vor sich geht, inmitten des Kugelhagels aber unverwundbar, weil er unschuldig ist. Erst im folgenden The Model wird er zum Opfer, fühlt sich dabei aber auch als Täter, weil er ganz und gar freiwillig zum Opfer wird.
Auch Waiting For The Moon To Rise formuliert das Zweifeln an der Gegenwart. Der Ausweg ist hier die Nacht, der Traum. Isobel Campbell sehnt beides derart betörend herbei, dass man gar nicht lange zögert, das Tageslicht für immer abschreibt und ihr in die Dunkelheit folgt. Das Licht wird gefürchtet, weil es alles sichtbar macht – und das, was dann zum Vorschein kommt, meist nicht erfreulich ist. Das ist die Einsicht im herzzerreißenden Don’t Leave The Light On Baby und erst recht im todtraurigen The Chalet Lines.
Auch Family Tree, das beste Stück der Platte, wünscht sich Harmonie und Integration, weiß aber um das Anderssein und Andersseinwollen. „I’ve been feeling down, I’ve been looking round the town / for somebody just like me / but the only ones I see / are the dummies in the windows.“ Der Rausschmeißer There’s Too Much Love wird deshalb sogar ein wenig aggressiv: „I feel like dancing on my own / where no one knows me and where I can cause offence just by the way I look / you say I’ve got another face / that’s not a fault of mine these days / I’m brutal, honest and afraid of you.“ Die Dinge sind nicht so, wie sie sein sollten – und die Menschen sind es auch nicht. Bands wie Belle And Sebastian machen das erträglich.
Auch in einem brasilianischen TV-Studio gilt: There’s Too Much Love:
httpv://www.youtube.com/watch?v=8ORcfqAQIMY