Künstler | Biffy Clyro | |
Album | Opposites | |
Label | Warner | |
Erscheinungsjahr | 2013 | |
Bewertung |
Biffy Clyro sind Frontmann Simon Neil sowie die Zwillingsbrüder James Johnston (Bass) und Ben Johnston (Schlagzeug). Das klingt erst einmal ziemlich selbstverständlich, und es sollte natürlich jedem aufrechten Rockfan vertraut sein nach der „langsamsten, unglaublichsten und wohlverdientesten Erfolgsgeschichte des britischen Rocks in den vergangenen 20 Jahren” (Q). Im Angesicht von Opposites, dem sechsten Album des Trios aus Schottland, das damit übrigens gerade Platz 1 der UK-Charts erreicht hat, ist dieser einfache Fakt trotzdem enorm erstaunlich. Aus zwei Gründen.
Erstens: Nach dem Durchbruch mit Puzzle (2007) und insbesondere nach der Tour zum darauf folgenden Erfolgsalbum Only Revolutions standen Biffy Clyro am Rande des Abgrunds. Ben trank heftig, und die anderen beiden waren während der Sessions im Studio von Produzent GGGarth Richardson (Nickelback, Red Hot Chili Peppers, Rage Against The Machine) kurz davor, ihn nach fast 20 Jahren gemeinsamer Geschichte aus der Band zu werfen.
„Nachdem wir die ersten paar Wochen in Santa Monica verbracht hatten, war ich mir sicher, dass wir nicht nur ohne ein neues Album, sondern auch als Ex-Band nach Hause zurückkehren würden“, sagt James Johnston über die angespannte Situation. „Ich hatte ein paar Monate lang das Gefühl, dass wir es nicht schaffen würden.“ Auch Simon Neil war mehr als niedergeschlagen: „Ich hatte all diese Stücke geschrieben, die unser Ende beschrieben. Ich konnte nicht glauben, dass wir wohl tatsächlich so enden würden“, blickt er zurück.
Schließlich fanden Biffy Clyro doch noch einen Ausweg: Es gab ein klärendes Gespräch mit Ben – und absolutes Alkoholverbot für den Drummer. „Wir trafen die Entscheidung, dass wir es nicht zulassen würden, dass die Trinkerei uns einen Strich durch die Rechnung machen und etwas zerstören würde, womit wir unser bisheriges Leben verbracht hatten. Wir waren uns einig, dass uns das nicht weiter aufhalten sollte“, sagt Simon Neil. Auch Ben Johnston hat rückblickend volles Verständnis für die Standpauke: „Ich bin heute aufrichtig dankbar, dass ich Menschen um mich habe, die so sensibel und so fürsorglich sind. Sie hätten mich ebenso gut aus der Band schmeißen können…“
So wurden Biffy Clyro als Trio gerettet. Aber (und das ist der zweite Grund für die Überraschung, die in dieser Besetzung steckt) Opposites klingt in keinem einzigen Moment, als seien hier bloß drei Musiker am Werk. Das Album ist ungeheuer kraftvoll, manchmal episch-monströs, immer extrem leidenschaftlich und durchweg sagenhaft ambitioniert. Das fängt schon damit an, dass Opposites als Doppelalbum konzipiert ist: Auf CD 1 (The Sand At The Core Of Our Bones) geht es – kein Wunder angesichts des Beinahe-Splits – eher düster zu. CD 2 (The Land At The End Of Our Toes) richtet den Blick in die Zukunft. Insgesamt 20 Tracks gibt es, und jeder einzelne davon beweist die Meisterschaft, mit der Biffy Clyro mittlerweile Rockmusik betreiben.
Opposites ist freilich auch als Einfach-CD mit 14 Stücken erschienen. Die Dramaturgie wird dadurch auf den Kopf gestellt, das Hörvergnügen leidet jedoch keineswegs. Die ersten fünf Stücke sind ohnehin in beiden Varianten identisch. Different People macht den Opener: Eine Orgel liefert den Hintergrund, die ersten Gitarrenakkorde sind noch beinahe schüchtern. Langsam und gefühlvoll, fast wie bei den Landsleuten von Snow Patrol, beginnt das Album, bevor es nach knapp zweieinhalb Minuten richtig abgeht – vor allem dank eines Quasi-Breakbeats, mit dem sich das Schlagzeug im Fußball den Titel als „ständiger Unruheherd“ verdient hätte.
Black Chandelier hat danach eine tolle Strophe und einen noch tolleren Refrain. Am Ende geht es ohne Zwischenschritt vom Headbangen zum Herzschmerz über – das muss man erst einmal hinbekommen. Sounds Like Balloons deutet eine Bloc-Party-Gitarre an und dank seines hymnischen Refrains auch den Wunsch nach der Stadionrock-Weltherrschaft.
Der Titelsong hat ebenfalls viel Pathos, aber auch das nötige Feingefühl: Opposite (übrigens mit einem Gastauftritt von Band-Of-Horses-Frontmann Ben Bridwell) vereint Aerosmith-Grandezza mit Counting-Crows-Schwermut, Streichern und einer Musicbox.
So viel Wagemut und Ideenreichtum ist selten geworden, aber Biffy Clyro wollten sich während der fünfmonatigen Sessions in Los Angeles bewusst keine Grenzen setzen. „Die Maxime lautete, dass uns diesmal nichts zu verrückt oder ausgeflippt war, um es nicht wenigstens zu versuchen“, betont Ben. „Die wirkliche Herausforderung besteht darin, all diese verrückten Dinge zu tun, aber gleichzeitig man selbst zu bleiben und seinen Sound, seine Identität nicht zu verwässern“, fügt James hinzu.
Entsprechend abwechslungsreich (und gelegentlich auch over the top) geht es weiter: Spanish Radio punktet durch luftige Drums und Mariachi-Trompeten (!). Stingin’ Belle, das extrem aggressiv beginnt, aber trotzdem einen herrlich gefühlvollen Refrain hinbekommt, gönnt sich am Ende einen Dudelsack. Die Single Biblical fährt einen Gospelchor auf und wird auch dadurch zur Monsterballade, in der noch ein bisschen die Angst vor dem Ende der Band mitschwingt: „It could’ve been a wonderful year / Instead we might not make it to the end”, singt Simon Neil.
An der riesengroßen Klavierballade Skylight hat Filmkomponist Clint Mansell (Black Swan, The Wrestler) mitgearbeitet. Im seltsam schwebenden The Thaw steckt ein unbändiger Optimismus, Modern Magic Formula erscheint an der Oberfläche als straighter Quasipunkrock, ist aber hoch komplex. Das Orchester in Trumpet Or Tap beschwört Live And Let Die-Erinnerungen herauf. Der Rausschmeißer ist bei Einzel- und Doppel-CD wieder derselbe: Das mitreißende Picture A Knife Fight hat den besten Refrain des Albums, und wiederholt am Ende immer wieder einen Satz, der mit Opposites wohl mehr denn je als Credo von Biffy Clyro gelten muss: „We’ve got to stick together.“
Neben den Mut, in ihren Ambitionen und der musikalischen Bandbreite nicht hinter Vorbildern wie The Clash, Queen oder U2 zurückzustehen, hat Opposites noch einen anderen entscheidenden Erfolgsfaktor: Herzblut. „Man könnte das Album als direkte Reaktion darauf sehen, dass die Musik in meinen Augen heute so unglaublich austauschbar und belanglos geworden ist. Sie ist den Leuten zwar noch irgendwie wichtig, aber oft einfach nur Ablenkung“, sagt Simon Neil. „Ich will, dass unsere Musik die Hörer in ihrem Leben begleitet; etwas, was sie sich auch noch in der Zukunft anhören und nicht nach einer Woche schon wieder vergessen haben, um sich dem next big thing zuzuwenden.“
Diesen Worten haben Biffy Clyro mit Opposites definitiv Taten folgen lassen. Jedes Lied klingt so leidenschaftlich, als würde die Band notfalls auch sterben dafür, und so selbstbewusst, als verspreche es der ganzen Welt die Erlösung. Das unterstreicht noch stärker als die früheren Alben die wunderbare Chemie im Sound der Schotten: Biffy Clyro machen schon längst Stadionrock, aber nicht so pompös wie Muse und nicht so kalkuliert wie die Foo Fighters. Und mit einem klaren Bekenntnis, wie Simon Neil noch einmal klarstellt: „Ich mag Bands, die dem Hörer einen Eindruck davon vermitteln, wie es in ihnen aussieht und was sie fühlen. Und ich habe auch selbst keine Angst davor, mich preiszugeben. Musik ist nicht nur Spielkram. Sie sollte etwas sein, das die Leute mit dir verbindet.“
Der Biffy-Clyro-Dresscode heißt auch im Video von Black Chandelier: Tattoos und sonst fast nichts.
httpv://www.youtube.com/watch?v=kB038cbI-Oo
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