Künstler | Big Harp |
Album | Chain Letters |
Label | Saddle Creek |
Erscheinungsjahr | 2013 |
Bewertung | *** |
Die Geschichte der Beziehung von Chris Senseney und Stefanie Drootin ist einigermaßen einfach. Irgendwann im Jahr 2007 spielte Chris mit seiner Band Art In Manila im Vorprogramm der Band von Stefanie, The Good Life. Die beiden redeten, tranken, rauchten und wurden ein Liebespaar. Stefanie wurde ziemlich schnell schwanger. Mittlerweile sind Chris und Stefanie verheiratet, die Eltern von zwei Kindern und sie sind eine Band: Big Harp.
Die Geschichte der Entstehung von Chain Letters ist ebenfalls einigermaßen einfach. Für sein Debüt White Hat hat das Duo einige Lobeshymnen geerntet. Dann gingen Big Harp auf Tour. Im Konzert gewannen die Stücke meist an Tempo und Härte, und diesen etwas raueren Sound fangen Big Harp nun auf ihrem zweiten Album ein. Aufgenommen haben sie es in Omaha und Los Angeles, abgemischt wurde Chain Letters von Mike Mogis (Bright Eyes, First Aid Kitt, M Ward), das Schlagzeug steuerte John Voris bei. „Hoffentlich klingen wir diesmal mehr nach Iggy Pop als nach Leonard Cohen“, gibt Chris Senseney die Richtung vor. „Tatsächlich würde es mir gefallen, wenn es klingen würde, als wäre Cohen der Frontmann der Pixies.“
In der Tat ist der Sound diesmal deutlich näher am Rock als an Folk und Country. Im Opener You Can’t Save ’Em All singt Chris Senseney wie ein Mann, der sich unbedingt beherrschen will, weil er weiß, dass in ihm ein Vulkan auszubrechen droht – während die Musik versucht, genau diese Eruption zu provozieren. Gleich darauf macht er in Waiting For Some Drunk den Eindruck eines Manns, der am Boden liegt und wohl noch die Kraft hätte zum Aufstehen, aber einfach keine Lust mehr. „Be good to me“, singt er dazu immer wieder, begleitet von einem abstrakten Klavier und dem Fuzz-Bass von Stefanie Drootin, der auf Chain Letters bei vielen Liedern das Fundament bildet. Ganz viel Reue steckt in It’s Easy To Be Strange in seinem Bariton, und ein bisschen „Scheiß drauf“ – und die Gitarre weint am Ende all den verpassten Chancen ein paar Tränen nach.
Some People Are Born Strange ist ein Blues, der ahnen lässt, wie die White Stripes klingen könnten, wenn Jack White niemals das Wort „Gitarrengott“ in den Sinn gekommen wäre. Good News ist erst sexy wie INXS, dann chaotisch wie Queens Of The Stone Age. No Trouble At All ordnet sich irgendwo zwischen Tom Waits, Nick Cave und Edwyn Collins ein – und ist genauso cool, wie das klingt. Bar All The Doors ist reduziert und verführerisch, im herrlich dreckigen Outside In The Snow steckt ein reizvolles R’n’B-Brodeln.
Und dann sind da noch zwei Lieder, die perfekt zu Chris Senseneys Wunschvorstellung von Chain Letters passen: Micajah With His Hands Up lässt die Pixies-Assoziationen sehr gut verstehen (genauer gesagt vermutet man hier, Frank Black hätte seine Vorliebe für Rockabilly entdeckt). Der Rausschmeißer Call Out The Cavalry, Strike Up The Band erinnert an das Flair (und phasenweise auch an die Melodieführung) von Leonard Cohen’s I’m Your Man. Mit Akkordeon und einem ausgelassenen Bläser-Finale klingt das Stück wie der allerletzte, vollkommen ausgelaugte Mardi-Gras-Umzug, bei dem nur noch Leute mitmachen, die sich vorher fünf Tage lang stündlich einen Korb geholt haben.
Das macht Chain Letters zu einer sehr coolen, intensiven Angelegenheit. Es gibt ein klares musikalisches Wertesystem und innerhalb dieser Koordinaten ein großes Maß an Wandlungsfähigkeit. Dass fast jeder Track hier wunderbar als Soundtrack für einen Tarantino-Film passen würde, dürfen Big Harp definitiv als Kompliment verstehen.
Sieht so ein glückliches Ehepaar aus? Das Video zu You Can’t Save ‚Em All lässt die Frage offen.
httpv://www.youtube.com/watch?v=7zH2-xCaco0