Künstler | Björk | |
Album | Homogenic | |
Label | One Little Indian | |
Erscheinungsjahr | 1997 | |
Bewertung |
Chauvinismus ist eine gefährliche Sache. Aber bedenkt man, dass über die Hälfte der Weltbevölkerung weiblich ist, dann ist der Beitrag der werten Damen zur Entwicklung der Popmusik marginal. Natürlich gab es schon immer Frauen, die Musik gemacht haben. Es gab auch immer welche, die gute Musik gemacht haben. Doch immer haben sie solche Musik gemacht, die es auch von Männern gab – und zwar meist besser.
So hatten sie, von Wanda Jackson und Billie Holiday über Joni Mitchell und Janis Joplin bis hin zu Sheryl Crow und Alanis Morissette alle mit dem Stigma zu leben, bloß das weibliche Gegenstück zu irgendwem zu sein. Deshalb ist Björk Gudmundsdottir die größte lebende Künstlerin. Denn solche Musik wie Björk macht sonst niemand. Erst recht kein Mann.
Und trotzdem gibt es auch für sie einen Vergleich mit dem starken Geschlecht. Björk ist der weibliche Elvis. „Elvis´ Triebfeder war nicht die Lust an der Provokation, sondern viel eher der Wunsch nach Versöhnung. Elvis rebellierte gegen etwas ganz Spezielles: gegen die Engstirnigkeit, die nicht nur in der Musikszene vorherrschte, sondern das ganze Leben bestimmte. Was Elvis bis heute so einmalig macht, ist die Art und Weise, wie er diese Kluft überbrückte. Seine Musik entzieht sich noch immer jeder eindeutigen Kategorisierung. Schon mit der ersten Platte, die auf den Markt kam, entzog er sich instinktiv den Grenzen. Er glaubte an die Gleichheit aller Musikrichtungen. Für ihn war jede Musik, die wahre Gefühle ausdrückte, gleich viel wert. ,Ich singe wie sonst keiner´, sagte er. Wer ihn bei der Arbeit erlebte, spürte sofort, wie intensiv er seine Melodien erarbeitete. Seine Songs wirken so neu. Sie klingen wirklich wie nichts, was vorher war oder nachher kam. Elvis hat ein neues Vokabular erfunden. Von Anfang an hatte er diese ganz besondere, undefinierbare Stimme und eine unglaubliche Präsenz.“ All diese Sätze hat Elvis-Biograph Peter Guralnick über den King of Rock ´n Roll geschrieben. Ersetzt man „Elvis“ durch „Björk“, verlieren sie nichts von ihrer Gültigkeit.
Schon der Opener Hunter vereint ein klassisches Orchester-Arrangement mit Breakbeats und mediteranen Akkordeon-Einlagen. Und dieser Text: „If travel is searching / and home what’s been found / I´m not stopping / I´m a hunter / I thought I could organise freedom / how Scandinavian of me.“ Dann hält selbst die Rastlose inne, wenn auch im Ausnahmezustand. „State of emergency / how beautiful to be“. Eine Melodie wie vom Mittelpunkt der Erde und wunderbare Streicher lassen in Jóga ein Liebeslied erahnen, und zwar ein traumhaft schönes, aber im Hintergrund lauert schon ständig die Zerbrechlichkeit, die sich ab und zu mit Noise-Attacken Bahn bricht.
In Unravel lässt sich die Quelle der Sounds dann ganz und gar nicht mehr ausmachen. Überhaupt sind hier Begriffe wie Instrument, Strophe, Melodie oder Takt vollkommen aufgelöst. Es sind einfach Geräusche, es ist einfach Atmosphäre, die Björks vor Gefühl fast berstenden Gesang umrahmt. Wie bei Elvis: Diese Stimme ist es, die alles zusammenhält und sogar einer fast akademischen Komposition wie Bachelorette Seele einhaucht.
Fast nur noch Intimität, jedenfalls völlig entrückt, ist All Neon Like, mit von Gläsern erzeugten Schwingungen und einer Sprache, die nicht nur bildhaft, sondern schon plastisch ist, dreidimensional. Auch auf 5 Years trifft das zu. Wenn Björk da zu bis zur Unkenntlichkeit verzerrten Beats „I dare you / to take me on / I´m so bored of cowards / who say what they want / and they can´t handle, can´t handle love“ singt, dann bekommt man Angst vor ihr, und wohl zu Recht.
Alarm Call bleibt dagegen ganz assoziativ, belegt aber als eines der wenigen Stücke ohne Mitwirkung von außen, wie weit Björk auch als Komponistin ist, und wie perfekt sie im Gespann mit Producer Mark Bell ihre Vision inzwischen umsetzen kann. Wie schön diese Vision klingen kann, zeigt All Is Full Of Love ganz am Schluss. Plötzlich wieder ganz entspannt, sphärisch und optimistisch, öffnet sich ein neues Universum. Noch eines.
Noch einmal kurz zurück zu Elvis. Als es den Begriff „Rock ´n roll“ noch nicht gab und die Elvis-Fans nach einer Bezeichnung für diese Mischung aus Blues, Country, Bluegrass, Rockabilly, R´n B und Gospel suchten, einigten sie sich schlicht auf „Elvis Music“. Die Versuche, Homogenic irgendwo einzuordnen, können also beendet werden. Es ist Björk-Musik.
High-Tech mit Seele: Der Clip zu All Is Full Of Love:
httpv://www.youtube.com/watch?v=EjAoBKagWQA
3 Gedanken zu “Björk – „Homogenic“”